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Das Maedchen mit den Schmetterlingen

Titel: Das Maedchen mit den Schmetterlingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Coffey
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bin Dr. Cosgrove. Die Schwester bringt dich gleich auf dein Zimmer, und nachher unterhalte ich mich mit dir, einverstanden?« Mehr sagte er nicht.
    Er wollte ihr mit der Hand über den Kopf streichen, doch Tess wich zurück. Sie mochte es nicht, wenn die Leute sie anfassten, und fremde Menschen und Orte mochte sie auch nicht. Kate sagte immer, dass man überall fremd ist, »so lange, bis du dich daran gewöhnt hast«, aber davon wurde Tess auch nicht glücklicher. Sie lief der Krankenschwester hinterher. Die Schwester hatte zwar tiefe Falten im Gesicht, aber alt sah sie nicht aus. Tess konnte schreiende Kinder hören, manche weinten auch, während sie unsicher den langen schimmernden Korridor entlangging. Sie mochte diesen Fußboden nicht. Er wirkte schlüpfrig, und sie tastete sich auf Zehenspitzen weiter.
    Die Krankenschwester spürte Tess’ Zögern, drehte sich um und bellte: »Nun mach schon! Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit!«
    Als die Tür des Schlafraums hinter ihr ins Schloss krachte, hielt Tess sich die Ohren zu und begann zu schreien.

Kapitel 6
    1981
    D ermot Lynch lenkte den alten Transporter über die Schottereinfahrt zum Haus der Byrnes. Seine Schultern schmerzten, als hätte er den halben Tag mit einer kranken Kuh gerungen, und die Kopfschmerzen vom Morgen machten sich auch wieder bemerkbar. Eigentlich hatte er gehofft, bei ihrer Ankunft erleichtet aufzuatmen, aber irgendwie hatte er das Gefühl, als stünde das Schlimmste erst noch bevor. Die Hintertür der Bauernkate blieb geschlossen, was ungewöhnlich war, wenn ein Auto auf den Hof fuhr. Und auch, als er sich mit Tess’ kümmerlicher Tasche in der Hand dem Haus näherte, öffnete niemand. Tess stand nervös hinter ihm, als er kräftig anklopfte und die Klinke drückte, die in die kleine, altmodische Küche führte. Zu seiner großen Überraschung saßen Kate und Seán Byrne beide schweigend am Küchentisch. Der Junge war nicht zu sehen.
    Wortlos wartete Dermot, bis Kate sich erhob und näher kam. Er spürte Tess’ Atem deutlich auf seinem Hemd. Sie musste unmittelbar hinter ihm stehen.
    »Du bist bestimmt hungrig nach der Fahrt«, sagte Kate, als wäre ihre Schwester nur ein paar Stunden fort gewesen. »Ich mach dir was zu essen.«
    Tess musterte ihre Schwester wortlos. Dann blickte sie zu ihrem Bruder hinüber, der so tat, als sei er in die Zeitung vertieft,
und seine heimgekehrte Schwester keines Blickes würdigte.
    Nicht das erste Mal an diesem Tag hatte Dermot Lynch das Gefühl, dass ihn da jemand kräftig zum Narren halten wollte.
    »Wo ist das Baby?«, fragte Tess nur.
    »Er ist kein Baby mehr, Tess«, erwiderte Kate trocken. »Ben ist jetzt fast dreizehn. Er ist in der Schule. Jeden Tag um vier kommt er mit dem Bus nach Hause.«
    Tess war froh, dass Ben nicht da war. Hoffentlich schrie er nicht mehr so viel.
    »Komm mit, Tess, ich zeig dir dein Bett. Es steht immer noch an der gleichen Stelle …« Kate wollte nicht über die Vergangenheit sprechen. In der Tiefe ihres Herzens jedoch, dem Herzen, dass sie damals noch hatte, als ihr Vater ermordet wurde, glaubte sie immer noch nicht, dass Tess es gewesen war. Mittlerweile war ihr jegliches Vetrauen in die Menschen abhandengekommen, und sie versuchte, das Geschehene einfach zu vergessen. Es war das Beste, keine schlafenden Hunde zu wecken.
    Tess folgte ihrer Schwester durch den Flur und stellte fest, dass es fast überall genau wie früher aussah, nur in dem Zimmer, in dem Daddy geschlafen hatte, standen jetzt zwei Betten. Kate ging weiter bis zum letzten Schlafzimmer, in dem an den Wänden, jeweils unter einem kleinen Fenster, ebenfalls zwei einzelne Betten standen. An der rechten Seite des langen, dunklen Flurs ragte ein merkwürdiger kleiner Raum hervor … ein Badezimmer mit Toilette und Badewanne. Tess schlug die Hände vors Gesicht, als sie daran vorbeiging. Die Veränderung verunsicherte sie, obwohl sie heilfroh war, nachts nicht mehr nach draußen zu müssen, um aufs Klo zu gehen. In der Anstalt hatte es auch ein Badezimmer gegeben, und sie hatte sich daran gewöhnt. Dermot Lynch stand immer noch in der
Küche und überlegte, ob er lieber gehen sollte. Normalerweise aß er mit den Byrnes zu Mittag, aber heute kam er sich wie ein Eindringling vor. Er hätte Seán Byrne gerne gefragt, ob er auf dem Markt gewesen war, doch nach einem Blick in dessen verquollene Augen war ihm klar, dass die Antwort »Nein« lautete.
    Spielt ja eigentlich auch keine Rolle, dachte Dermot. Soll er doch

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