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Das Maedchen mit den Schmetterlingen

Titel: Das Maedchen mit den Schmetterlingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Coffey
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Augen aufgeschlagen, ging die Fragerei los. Wann hat Seán angefangen zu trinken? Warum hat Seán angefangen zu trinken? Alles völlig normale Fragen, aber Kate störten sie. Irgendwie machten sie Kate bewusst, was in ihrem Leben alles schiefgelaufen war, und das deprimierte sie. Sie hätte Tess auch gerne ein paar Fragen gestellt, zum Beispiel zum Tod ihres Vaters, aber sie fand nicht die richtigen Worte. Eigentlich wollte sie gar nicht wissen, was damals geschehen war, doch sie wurde das unbestimmte Gefühl nicht los, dass die Wahrheit eine Befreiung sein könnte. Nur - eine Befreiung wovon?
    Als Ben endlich eingeschlafen war, ging Kate in das Zimmer, das sie nun gemeinsam mit Tess bewohnte. Sie räumte
ein paar Kleider auf und warf einen kurzen Blick auf Tess’ Bilder, die sehr viel düsterer und unverständlicher wirkten als früher. Als sie ein Blatt in die Hand nahm, tauchte darunter ein kleines Notizbuch auf. Es war aufgeschlagen, und Kate las die erste Seite.
    ENTSCHULDIGEN
    Seán
     
    Kate
     
    Ben
    Kate starrte auf die Liste. Sie konnte nichts damit anfangen, aber sie war ihr unheimlich. Sie ging zurück in die Küche, wo Tess schweigend vor dem Ofen saß.
    »Tess, was hat diese Liste zu bedeuten?«
    Hastig stand Tess auf und riss Kate das Notizbuch aus der Hand. »Das gehört mir, Kate! Du darfst das nicht anfassen!«
    »Ich weiß, Tess, aber es ist einfach rausgefallen. Was hat das zu bedeuten?«
    »Du musst dich entschuldigen, Kate.«
    »Okay, Tess, ich entschuldige mich, dass ich deine Sachen angefasst habe. Sagst du mir jetzt, was das bedeutet?«
    »Nein. Das ist mein Geheimnis. Das ist meine Arbeit.«
    »Arbeit? Wie meinst du das?«
    Tess gab keine Antwort, und Kate wurde allmählich nervös.
    »Bitte, sag mir, was es damit auf sich hat!«, fuhr sie Tess gereizt an.
    Tess blickte zu Boden und fing an, mit den Fingern zu schnipsen. Kate ahnte, dass dieser Streit kein gutes Ende nehmen würde, und überlegte, ob sie einlenken sollte.

    »Tess, ganz ruhig. Geht es um etwas Schlimmes?«
    » Das hat was mit entschuldigen zu tun !«, zeterte sie.
    »Aber wer? Wer muss sich entschuldigen, Tess?«
    » Das ist mein Geheimnis! «, kreischte sie.
    Erschüttert musste Kate mit ansehen, wie Tess die Fassung verlor. Normalerweise braute sich das Gewitter langsamer zusammen. Tess fing an, sich in die Hände zu beißen. Kate riss ein weiches Tuch aus dem Schrank, legte es Tess um die Schulter, redete beschwichtigend auf sie ein und strich ihr übers Haar, als sie auf ihren Kopf und den Körper einschlug. Kate zog Tess mit sich auf den Boden, bis sie sich wieder beruhigt hatte.
    »Pssst, alles in Ordnung, Tess. Ich stelle dir keine Fragen mehr. Aber wenn dich etwas quält, kannst du es mir sagen, okay? Egal, was es ist.«
    Tess verzog sich in ihr Bett, und Kate brütete erneut über Tess’ Liste. Anfangs hatte sie gedacht, dass die Liste sich auf Tess bezog, dass sie wiedergutmachen wollte, was sie der Familie angetan hatte, aber jetzt fragte sie sich, ob Tess vielleicht ihnen die Schuld an den Ereignissen gab und daran, dass man sie in die Anstalt gebracht hatte. Wollte sie sich womöglich rächen? Das Bild ihres zusammengeschlagenen, blutbesudelten Vaters schoss ihr durch den Kopf. Aber nein, Tess war nicht gewalttätig, zumindest nicht, wenn man sie nicht reizte. Aber vielleicht glaubte sie hintergangen worden zu sein?
    Kate zermarterte sich den Kopf mit diesen Fragen bis zur Erschöpfung. Mit mörderischen Kopfschmerzen schleppte sie sich ins Bett. Es hatte keinen Zweck, mit Seán darüber zu reden, er hatte seit Tess’ Rückkehr kaum ein Wort mit ihr gewechselt und sie nur angefaucht.
    Kate schlief ein und träumte von Tess, von ihrer Liste und von Dermot Lynch.

Kapitel 11
    1971
    E inige Wochen nach der Beerdigung seines Vaters machte Seán sich auf den Weg ins Dorf, um die wichtigsten Einkäufe zu erledigen. Diesen Augenblick hatte er gefürchtet. Er wusste, dass der Staub sich in kleinen Orten nur langsam wieder legte, aber in einem Dorf wie Árd Glen konnte es ein ganzes Leben dauern. Er lenkte den Lieferwagen an der Kirche vorbei, bog nach links ab und fuhr die Reihe der geduckten Häuser entlang bis zum Laden. Ein anderer Weg wäre Séan lieber gewesen, aber die einzige Straße führte genau an den Leuten vorbei, denen er gerne aus dem Weg gegangen wäre. Seán wollte sich nicht für irgendwelche Beileidsbekundungen bedanken müssen. Dass der Alte tot war, war ihm vollkommen gleichgültig. Es war ein

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