Das Maedchen mit den Schmetterlingen
zumindest bruchstückhaft wussten, was für ein Leben Michael Byrne der schönen Maura beschert hatte. Es hätte sich verhindern lassen, aber ihr Bruder hatte seine persönliche Zukunft über Maura und Seán gestellt
und seine Tochter noch nie gesehen. Brigid hatte Kate bei der Beerdigung beobachtet. Es war vielleicht die einzige Gelegenheit, ihre Nichte und ihren Neffen je zu Gesicht zu bekommen. Sie war das genaue Ebenbild von Maura, und Brigid weinte, als sie das schwarzhaarige Mädchen sah, das jetzt eine schwere Verantwortung zu tragen hatte - die beiden jüngeren Kinder von Maura waren, wie Brigid zu Ohren gekommen war, mit einer seltsamen Krankheit auf die Welt gekommen, von der sie noch nie gehört hatte. Brigid brachte es nicht fertig, Michael Byrne bei der Beerdigung die Hand zu reichen - zu deutlich stand ihr vor Augen, wie grausam er ihre Freundin behandelt hatte. Aber sie fand, dass ihr Bruder eine Mitschuld an Mauras Tod trug. Hätte Éamonn sich seiner Verantwortung gestellt, als Maura schwanger war, dann wäre sie heute noch am Leben.
Brigid dachte daran, was für ein Mensch ihr Bruder geworden war. Ob Maura auch so enttäuscht gewesen wäre wie sie? Voller Hoffnung auf ein vereintes Irland hatte er vorgehabt, in die Politik zu gehen, der Zweck seines Jurastudiums. Er war der Sinn Féin beigetreten, um irgendwann einmal zur friedlichen Wiedervereinigung Irlands auf politischem Weg beitragen zu können. In den ersten Jahren hatte Brigid ihn sogar unterstützt, hatte für Demonstrationen geworben und Flugblätter verteilt. Doch als Éamonn angefangen hatte, sich mit strammen Republikanern einzulassen, die der Überzeugung waren, dass Nordirland nicht durch Worte, sondern nur mit Waffengewalt von der britischen Herrschaft befreit werden konnte, hatte sie sich von ihm distanziert. Bis heute konnte Brigid nicht verstehen, warum er sich so leichten Herzens von seinen Idealen verabschiedet hatte. Ein paar Jahre später machte Éamonn seinen Universitätsabschluss und begann eine Karriere als Rechtsanwalt. Erschrocken hörte Brigid seine
selbstgefälligen Berichte, dass er aufgrund von Verfahrensfehlern für etliche »Mitglieder« einen Freispruch erreicht hatte. Die Jahre gingen ins Land, und sie sahen sich immer seltener, auch wenn der Kontakt nie ganz abriss. Manchmal stand Éamonn mitten in der Nacht vor ihrer Haustür, wenn er ein Bett zum Übernachten brauchte, sie sei der einzige Mensch auf der Welt, dem er vertraute. Sie fragte ihn nie, warum er nicht nach Hause gehen konnte, sie würde ohnehin keine ehrliche Antwort bekommen. Nach ihrer Heirat mit Joe Daly wurden die Besuche ihres Bruders immer seltener. Er bestand darauf, dass sie Joe nichts von seinen politischen Aktivitäten verriet, und daran hatte sie sich immer gehalten. Joe arbeitete überwiegend in England, da es damals kaum Arbeit in Irland gab, und ihr Bruder ließ sich immer nur während Joes Abwesenheit blicken. Brigid hatte manchmal den Verdacht, dass er sie beschattete, doch auch danach fragte sie nie. Als Joe bei einem Verkehrsunfall in Lancashire ums Leben kam, verbrachte Éamonn wieder mehr Zeit im Haus seiner Schwester. Einmal fragte sie ihn, ob er nicht bei ihr einziehen wolle - es gab genügend Platz, und so konnten sie einander Gesellschaft leisten. Aber er meinte, es sei zu gefährlich für sie, was ihr einen gewaltigen Schrecken einjagte. Sie hatte Éamonn versprochen, nicht zu Mauras Beerdigung zu fahren, von der sie aus der Zeitung erfahren hatte. Aber sie hatte es nicht geschafft, ihr Versprechen zu halten. Seit dem Tag, als Maura zum letzten Mal mit Seán bei ihr gewesen war, hatte sie keinen Kontakt mehr mit ihr gehabt, und in der Zwischenzeit war so viel geschehen. Als Kate geboren wurde, hatte Brigids Onkel noch in Árd Glen gewohnt und berichtete Brigid bei einem Besuch in Dublin von den Gerüchten, die kursierten. Er wusste noch, dass sie mit Maura Byrne befreundet gewesen war, wenn er auch nicht die geringste Ahnung hatte, dass sein Neffe der
Vater des Neugeborenen war. Aber ein paar Jahre später war ihr Onkel nach London gezogen, und der Informationsfluss versiegte. Brigid war zutiefst erschüttert über Mauras Tod, aber ihr war durchaus klar, warum es sinnvoll war, der Beerdigung fernzubleiben. Bis jetzt war niemand darauf gekommen, dass Maura und Éamonn ein Paar gewesen waren, und sie wollte keine schlafenden Hunde wecken. Sie wusste, welche Geschichten man sich hinter vorgehaltener Hand über die Familie
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