Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Maedchen mit den Schmetterlingen

Titel: Das Maedchen mit den Schmetterlingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carol Coffey
Vom Netzwerk:
erzählte, vor allem, da Mauras Mann nicht einmal ein Jahr später unter so tragischen Umständen ums Leben gekommen war. Das Ganze war eine einzige Tragödie. Sie hatte die Sache in der Zeitung aufmerksam verfolgt und wunderte sich, dass dieses reizende Mädchen, das sie bei Mauras Beerdigung gesehen hatte, so etwas getan haben sollte. Aber im Grunde genommen wollte sie einfach ihre Nichte und ihren Neffen sehen, und dafür bot Mauras Beerdigung die ideale Gelegenheit, weil sie sich ohne Aufmerksamkeit zu erregen unter die Menge mischen konnte. Sie hatte oft an Seán und Kate denken müssen. Als die Kinder noch klein waren, hatte sie ein paarmal an Maura geschrieben, aber nie eine Antwort bekommen und war davon ausgegangen, dass Maura aufgrund von Éamonns Verhalten nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Sie hatte sogar vorgehabt, Seán oder Kate bei der Beerdigung anzusprechen. Sie hätte die beiden so gerne in den Arm genommen, doch dann hielt sie sich am Tag der Beerdigung im Hintergrund und verschwand unbemerkt. Das hatte sie zumindest angenommen. Doch Seán hatte sie bemerkt und hatte keine Mühe gescheut, sie ausfindig zu machen.
    Nein, sie konnte Éamonn nicht sagen, dass Seán bei ihr gewesen war, weil sie ihm auch nie gesagt hatte, dass sie zur Beerdigung gefahren war.
    Brigid legte ihren Mantel wieder ab und setzte sich in ihr
kleines Wohnzimmer, das nur selten einen Besucher zu sehen bekam. Dort betrachtete sie das Foto, das Seáns Aufmerksamkeit geweckt hatte. Éamonn und sie als kleine Kinder in Árd Glen. Brigid seufzte. Was für ein Kuddelmuddel! Dass das Leben auch nie so läuft, wie man es geplant oder gehofft hat! Sie ließ sich in den Sessel sinken und starrte auf das Foto. Das Haus kam ihr totenstill vor. Nur das Ticken der Uhr und das ferne Rauschen des Straßenverkehrs waren zu hören, der Klang der Einsamkeit, die ihr Leben geworden war, der Klang des Lebens, das an ihr vorbeirauschte.

Kapitel 24
    1972
    I n der Anstalt waren mittlerweile fünf Monate ins Land gegangen, und Tess hatte sich so gut es ging an ihr neues Heim gewöhnt. Sie saß mit Leroy am Rand des Pausenhofes, während die anderen Kinder um sie herumtollten, und ließ sich von der spärlichen Wintersonne bescheinen.
    »Leroy, was hast du getan?«
    »Was?«
    »Warum bist du hier? Was hast du getan?«
    Leroy errötete. Er war sich nicht sicher, ob er seiner Freundin wirklich sagen sollte, was er auf dem Kerbholz hatte. Er war nahe daran, sich etwas ausdenken, brachte es aber nicht fertig, sie anzulügen. Er hatte ihr schon viel zu viele Lügen aufgetischt.
    »Na ja … ich war früher mal im Waisenhaus. Da gab es einen Pater … also, der hat immer …« Leroy warf Tess verstohlen einen Blick zu. Sie war drei Jahre jünger als er und hatte wahrscheinlich keine Ahnung von Sex. Er wand sich vor Verlegenheit. »Er hat Sachen mit mir gemacht … schlimme Sachen. Eines Tages hab ich ihn mit seinem Gürtel geschlagen, immer wieder, so lange, bis ich dachte, er is’ tot. War mir egal. Ich wollte einfach nur, dass er endlich aufhört und mich in Ruhe lässt.« Leroy senkte den Kopf. Außer mit Dr. Cosgrove hatte er bisher kaum darüber gesprochen.

    »Und, hat er dich in Ruhe gelassen?«, fragte Tess besorgt.
    Leroy lachte. Das Mädchen war vielleicht naiv! »Ja, wie man’s nimmt. Sie haben mich hierhergeschickt, um mir den Teufel auszutreiben. Ha!«
    »War er tot?«, wollte Tess wissen und legte den Kopf auf die Seite.
    »Nein, leider nicht. Dann hätte er wenigstens keinem anderen Kind mehr was antun können.«
    Tess dachte nach. »Was bedeutet Waisenhaus?«
    »Das ist ein Heim für Waisen. Du weißt schon, Kinder ohne Familie.«
    »Hast du etwa keine Familie?« Tess starrte ihn mit aufgerissenen Augen an. Wie war so etwas möglich?
    »Ich hab ‘ne Mutter. Irgendwann holt sie mich hier raus. Sobald sie ‘ne schöne Wohnung für uns beide findet.«
    Tess nickte. »Ist sie auch Amerikanerin?«
    Leroy wandte sich von ihr ab und überlegte, ob er Tess nicht endlich gestehen sollte, dass er in Wirklichkeit gar kein Amerikaner war, dass er sich das alles schon vor Jahren ausgedacht hatte, um nicht dauernd auf seine Hautfarbe angesprochen zu werden. Es hatte zwar nicht funktioniert, aber er hatte gemerkt, dass er mit seinem Akzent Aufmerksamkeit erregte, und so hatte er ihn beibehalten.
    »Nein, ist sie nicht«, erwiderte er einfach, um schnell das Thema zu wechseln. »Und was ist mit dir, Tess? Was hast du getan?«
    Tess blickte ins

Weitere Kostenlose Bücher