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Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Das Mädchen und das schwarze Einhorn

Titel: Das Mädchen und das schwarze Einhorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanith Lee
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hörte unterhalb des Beckens auf - aber vielleicht befand sich sein Unterteil auch nur in einer anderen Dimension unterhalb des Fußbodens.
    Herrisch stand Jaive neben ihm. Sie beobachtete ihre Tochter, warf ihren roten Haarschopf zurück und sagte: »Mit was hast du dich beschäftigt, Tanaquil?«
    »Mit nichts«, antwortete diese. »Was meinst du?« fügte sie beiläufig hinzu.
    »Epbal Enrax teilte mir mit, daß seltsame, wilde Elemente meine Festung betreten haben.«
    Epbal Enrax war der Dämon. Er wurde etwa einmal pro Monat beschworen. Tanaquil nickte ihm höflich zu. »Wie geht's, Epbal Enrax?« Der Dämon atmete ein mauvefarbenes Wölkchen aus, was ein Zeichen von Zufriedenheit war. »Ich verstehe nicht«, fuhr Tanaquil an ihre Mutter gewandt fort, »warum du zu der Annahme kommst, daß diese seltsamen, wilden Elemente etwas mit mir zu tun haben könnten.«
    »Epbal Enrax«, befahl Jaive dem Dämon, »sprich!«
    Und Epbal Enrax sprach. Das Gemach erzitterte in seinen Grundfesten, und Stößel und Pergamente purzelten aus den Wandschränkchen - seine Stimme war nicht laut, nur nachhallend .
    »Unten«, dröhnte Epbal Enrax, »ganz nahe.«
    »Womit wir bei dir wären, Tanaquil.«
    »Und bei der Hälfte deiner Soldaten, deiner Küchenmädchen ...«
    »Fahr fort, Epbal Enrax!«
    »Rothaar legt ihre Hände auf ein Funkenfeuer .«
    Tanaquil bebte. Glücklicherweise verbreitete der Dämon Kälte um sich - einige der Wachskerzen waren bereits ausgegangen —, so daß sie eine gute Entschuldigung für ihr Zittern hatte. Sie warf ihrer Mutter einen ätzenden Blick zu und antwortete: »Er meint dich, Mutter. Rotes Haar und Funken und der ganze Kram. Irgendein Strahlenspruch von dir hat sich wieder selbständig gemacht und geistert auf dem Treppenabsatz herum. Er will dich hinters Licht führen. Du hast mir selbst gesagt, daß Dämonen immer dazu neigen.«
    Jaive runzelte die Stirn und wandte sich an den Dämon.
    »Hier steht meine Tochter: Was ist mit ihr?«
    Epbal Enrax' Stimme vibrierte: »Rebellion.«
    Tanaquil hatte das ungute Gefühl, er helfe ihr nun bei ihrem Täuschungsmanöver. Dämonen säten immer Zwietracht, wenn sie eine Möglichkeit dazu sahen. Sie wappnete sich zum Angriff.
    »Ja«, erklärte sie, »er meint unseren letzten Streit, Mutter. Darüber, daß ich von hier fort möchte. Und daß du mich nicht gehen läßt.«
    Jaives gebieterische Haltung bröckelte ab. Sie wirkte aufgebracht.
    »Meinst du, daß ich jetzt diesen Unsinn hören will?«
    »Du hast mich kommen lassen.«
    »Was hast du getan?« verlangte Jaive in einer letzten Aufwallung von Mißtrauen zu wissen.
    »Was tue ich schon groß? Dinge reparieren, herumwerkeln. Ich langweile mich. Es macht mich fuchsteufelswild. Ich will hier weg und ... «
    »Sei still!« wütete Jaive. Sie drehte sich wieder zu dem Dämon um und schleuderte einen Lichtstrahl auf ihn. Der Dämon brutzelte ein wenig und begann zu winseln. »Und du bist auch still! Ich bin von Idioten umgeben. Wenn du nach Abwechslung verlangst, Tanaquil, werden wir ein Abendessen in der Halle veranstalten. Jawohl, ein Fest, eine Party. Du darfst eins deiner besten Kleider tragen.«
    »Das freut mich aber«, versetzte Tanaquil trocken.
    »Und nun geh. Was dich anbetrifft ...«
    Tanaquil schloß eilig die Tür hinter sich, und den ganzen Weg die Treppen herunter hörte sie die Schreie und verzweifelten Entschuldigungen des Dämons.
    Die Festung war nun fast vollständig in Dunkelheit getaucht, bis auf einige wenige Lampen, die die Treppen und die Windungen der Gänge beleuchteten, die Sterne in den Fensteröffnungen und das Flackern der Kohlepfannen.
    Tanaquil öffnete die Tür und zögerte.
    Durch die Dunkelheit und die ausgebreitete Decke hindurch stieg ein sanfter, schwacher Schimmer vom Boden auf. Die glitzernden Knochen leuchteten wie Sterne. Legt ihre Hände auf das Funkenfeuer - hatte der Dämon wirklich sie und ihre jüngste Beschäftigung gemeint? Und was war das überhaupt für eine Beschäftigung? Welche Zaubermacht jenseits ihres Begriffsvermögens mochte sie freisetzen?
    Sie betrat ihr Zimmer und stand dort, umhüllt von der Nacht.
    »Piefel«, lockte sie sanft, »was sollen wir tun?«
    Keine Antwort. »Wir werden ein großes Bankett geben«, fuhr Tanaquil fort, »und ich werde dir einen extra großen Fleischknochen besorgen ...«, und dann sah sie, daß der Fensterladen weit geöffnet stand. In den Federschichten auf dem Boden bemerkte sie die Spuren von fetttriefenden Pfoten.

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