Das Mädchen und das schwarze Einhorn
merkwürdige Art zu bellen«, meinte Gork. Das Piefel knurrte und verzog sich mit einem Salzkeks unter den nächsten Wagen. »Was wirst du in der Stadt tun?« fragte Gork Tanaquil in unbeabsichtigter Wiederholung. »Och, dies und das.«
Gork begutachtete seine Taschenuhr, klatschte auf seine Stiefel und begann zu pfeifen. Dann fuhr er sehr ruhig fort: »Wandelst du eigentlich auf Freiersfüßen?« Tanaquil war erstaunt. Sollte sie sich geschmeichelt fühlen oder lachen? Mit großem Ernst erwiderte sie: »Ich fürchte ja. Meine Brüder haben mich einem Mann in der Stadt anverlobt.« »Diese Brüder scheinen sich nicht hinreichend um dich zu kümmern«, versetzte Gork. »Aber sie sind meine männlichen Blutsverwandten, und also muß ich ihnen gehorchen.« »Das stimmt.«
Mit einem herzhaften Knacken biß das Piefel seinen Keks entzwei; Gork reckte sich und pfiff in das Schneegestöber hinauf. Ohne ein weiteres Wort entfernte er sich. Vermutlich, folgerte Tanaquil, war ihm der Wert einer Geliebten aufgegangen, die Wagenräder und Uhren reparieren konnte. Und dann setzte das Geräusch ein. Zuerst hielt sie es für einen puren Ton des Nachtwinds. Es schien überall um sie herum zu sein, abzuebben und wieder anzuschwellen.
Beiläufig dachte sie, immer noch an die übernatürlichen Vorkommnisse in Jaives Festung gewöhnt: » Vielleicht reiten Dämonen auf den Schwingen des Windes.«
» Aaeh! Schaut! Schaut! «
Ein Topf fiel zu Boden und zerbrach. Zu der feenhaften Süße der Windmusik gesellte sich panischer Lärm.
Drei Knechte, die gerade von dem Brunnen herabkamen, blieben wie angewurzelt stehen, ließen die Wasserkrüge fallen, heulten auf und deuteten nach oben, auf eine Stelle oberhalb des Wäldchens.
Das gesamte Lager war plötzlich in Aufruhr. Männer zückten Messer und Knüppel. Die Kaufleute flohen mit winselnden Schreien aus ihren Sänften, und einer sank auf seine Knie und erinnerte Gott daran, daß er beschützt werden wollte. Auch die Kamele stampften an ihren Pflöcken, röhrten und schnaubten, während die Maultiere zum Verrücktwerden schrien.
»Ein Feind! Ein Ungeheuer! «
» Tötet es! «
» Flieht! «
Tanaquil lugte entlang des Felskamins über den Hügel. Wie von unsichtbaren Fäden gezogen erhob sie sich.
Oberhalb des Felskamins lag Schwärze über der Nacht, schwärzer als die Nacht. Es schien keine Gestalt zu haben, doch ein Flimmern wie von schäumendem Feuer umgab es. Und aus diesem Flimmern heraus brannten zwei karmesinrote Sterne neben einem Schwert aus Licht.
Langsam wandte sich dieses Schwert nach Osten und nach Westen, nach Süden und nach Norden, fing mit seinen Spiralenrippen, mit seiner gnadenlosen Spitze den Wind ein. Und der Wind spielte auf dem Horn, der Wind machte Musik. Das Hornschwert sang, und nun wurde das Lager, auch die geräuschvollen Kamele und heiseren Esel, in völliges Schweigen getaucht.
»Du existierst«, sagte Tanaquil. Und bevor sie wußte, was sie tat, streckte sie wiederum die Arme in die Luft, als wolle sie dieses Wesen fünfzig Fuß über ihr auf dem Felsen berühren.
Doch mit einer Explosion von strahlendem Glanz, von Schwärze, wandte sich das Einhorn um und stürmte in die Leere davon. Die Musik hörte auf. Und inmitten des Windes vernahm Tanaquil die Stimme des betenden Kaufmanns.
»Seht sie nur an, die Hexe. Man kann ihr nicht trauen. Sie beschwört Dämonen.«
Tanaquil verließ den Himmel. Alle Männer hatten einen Kreis um sie gebildet. Sie standen auf dem Hügel und stierten sie an. Die Messer und Knüppel bildeten einen wahren Wald, und für einen Moment konnte Tanaquil nichts anderes mehr sehen.
Dann schob sich der fette Karawanenführer durch die Menschenmauer. Er betrachtete sie mit Abscheu.
»Ich habe dich aufgenommen, Mädchen. Ich habe dir erlaubt, dein Tier zu behalten, von dem mein lieber Patron Pudit sagte, daß es verhext sei. Laßt sie in Ruhe, habe ich ihnen gesagt. Sie macht keinen Ärger.«
»Mache ich auch nicht«, erwiderte Tanaquil.
»Warum hast du dann einen Dämon auf dem Hügel beschworen?«
Tanaquil rief sich ihre hoch erhobenen Arme ins Bewußtsein — und wie dies gewirkt haben mußte.
»Ich habe es nicht beschworen. Und es war kein Dämon ...« Sie wäre fast damit herausgeplatzt, daß sie einen Dämon erkennen konnte, wenn denn einer auftauchen sollte, konnte sich jedoch gerade noch rechtzeitig auf die Zunge beißen. »Wißt Ihr denn nicht, was es war? Es war ein Einhorn ... «
Der Führer ließ ein
Weitere Kostenlose Bücher