Das Maedchen und der Magier
Der Mann war unsichtbar.
Mavis würde denken, dass sie den Verstand verlo ren hatte.
„Du solltest dir etwas einfallen lassen."
,,Lass du dir etwas einfallen", erwiderte sie scharf. ,,Du bist hier der Unsichtbare."
„Sie ist deine Freundin."
Jenna seufzte laut. Langsam hörten er und sie sich an wie zwei verwöhnte Sechsjährige, die sich um den Platz in der Sandkiste stritten. „Womit habe ich das hier bloß verdient? Ich fahre nie schneller als erlaubt. Ich sortiere meinen Abfall. Ich zahle meine Steuern rechtzeitig.
Warum werde ich bestraft?"
„Du denkst zu negativ, Jenna."
„Wundert dich das? Ich habe mir das hier nicht ausgesucht. Wenn du dich wie jeder vernünftige Mensch von dieser verdammten Mine fernge halten hättest, wäre nichts passiert."
„Wer nicht wagt, der nicht gewinnt."
„Blinder Eifer schadet nur."
„Okay, Prinzessin", sagte er in einem Ton, den sie noch nicht kannte. „Du hast doch immer alles auf dem silbernen Tablett serviert bekommen. Woher weißt du etwas über Wagnisse?"
Sie packte das Lenkrad fester. Manchmal kam es ihr vor, als wäre ihr ganzes Leben ein einziges Wagnis.
Er musterte sie, und sie fragte sich, ob er ihre Fassade durchschaute. Hoffentlich nicht. Sie war das einzige, was sie hatte.
„Du weißt nichts über mich, Quinn", sagte sie ruhig. „Und das ist gut so."
Aber er wusste etwas über sie. Etwas, das sie am liebsten für immer aus seinem Gedächtnis gelöscht hätte. Er wusste, dass sie ihn mehr begehrte als je einen Mann zuvor. Der Beweis dafür war die lebensgroße Statue, die sie aus Einsamkeit und Sehnsucht erschaffen hatte.
Mavis Sumner hatte sich vor achtzehn Monaten zur Ruhe gesetzt und war in eine luxuriöse Wohnanlage an einem Golfplatz nahe Lake Mead gezogen. Mavis behauptete immer, zu alt für den Trubel von Las Vegas zu sein, aber Jenna wusste, warum sie dort lebte. John Olin wohnte ebenfalls in der Anlage, und ginge es nach Mavis, so würden er und sie möglichst bald die Renten zusammenlegen.
Jenna war mit den Nerven am Ende, als sie ihren VW neben Mavis' rotem Cabrio parkte.
Wie um alles in der Welt sollte sie ihrer Freundin erklären, was für ein Chaos aus ihrem Leben geworden war? Überraschung, Mavis! Das hier ist Chase, mein zukünftiger Ehemann.
Weißt du noch, wie du sagtest, wir seien füreinander wie geschaffen? Nun ja, er ist unsichtbar, aber das ist doch nicht verboten, oder?
„Was wirst du ihr sagen?" fragte Chase auf dem Weg zur Haustür. „Sie wird dir sicher ein paar Fragen stellen."
„Ich werde auf zeitweilige Unzurechnungsfähigkeit plädieren und auf ihre Gnade hoffen."
„Aber sorg dafür, dass sie uns verheiratet, bevor sie dich einliefern lässt."
„Danke für dein Verständnis."
Er wollte etwas sagen, doch ihr zorniger Blick ließ ihn schweigen.
Sie nahm ihren ganzen Mut zusammen und läutete.
„Ich komme schon, ich komme schon", hallte Mavis' fröhliche Stimme durch das Haus. „Ich hoffe, es gibt einen guten Grund, mich um diese Zeit zu stören."
Chase sah Jenna an. „Ich dachte, sie ist eine Nachteule?"
Jenna dachte daran, einfach wegzulaufen. „Früher war sie eine." In alten Zeiten begann für Mavis der Feierabend erst um elf.
„Vielleicht hättest du vorher anrufen sollen."
„Ich habe keine Zeit für Höflichkeiten", fauchte sie. „Ich will dich einfach nur loswerden, du ..."
„Jenna!" Mavis stand in der offenen Tür und umarmte Jenna. „Ich glaube, ich werde alt. Wir sind doch erst für den ..." Sie verstummte mitten im Satz, und Jenna sah erstaunt, wie ein freudiges Lächeln über das stets gebräunte Gesicht ihrer Freundin huschte. „Er ist es wirklich!
Chase Quinn! Erst gestern abend habe ich an Sie gedacht."
Jenna wollte nicht in Ohnmacht fallen. Sie war keine zartbesaitete Frau, aber das hier gab ihr den Rest. Mavis verschwamm vor ihren Augen, und sie spürte, wie ihre Knie weich wurden.
„Sie isst einfach nicht genug", hörte sie Mavis sagen, als sie eine Minute später wieder zu sich kam. „Ein so großes Mädchen braucht viel Vitamine."
Jenna stützte sich auf einen Arm und stellte fest, dass sie auf der pinkfarbenen Couch in Mavis' Wohnzimmer lag. Mavis saß in einem purpur roten Morgenmantel auf der Lehne.
Chase hockte vor der Couch, und Jenna glaubte, echte Besorgnis in seinem Blick erkennen zu können. Aber nur für einen Moment. Sie wusste, dass es ihm nur um die Trauung ging, nicht um sie.
„Du kannst ihn sehen", flüsterte sie.
„Natürlich kann ich ihn
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