Das Maedchen und der Magier
es hier zu unheimlich. Ich würde kein Auge zutun. Schon gar nicht, wenn der Gipsmann mich dauernd anschaut."
„Dann fahr jetzt", drängte Jenna und schob sie zur Tür. „Ich schalte die Alarmanlage ein."
„Du rufst mich an, wenn du Hilfe brauchst?"
„Natürlich." Jenna lächelte. „Frank wäre bestimmt begeistert, was?"
Liz betrachtete die Statue mit einem wehmütigen Ausdruck. „Das Le ben kann grausam sein", sagte sie. „Kaum zu glauben, dass me in Frank und dein Traummann zur selben Gattung gehören."
„Frank liebt dich", sagte Jenna sanft. „Allein darauf kommt es an."
„Stimmt." Liz klang nicht überzeugt. „Trotzdem würde ich gerne eine Nacht mit einem so göttlichen Wesen verbringen."
Und wenn er nun ein gefallener Engel ist? dachte Jenna, während sie hinter Liz abschloss und die Alarmanlage einschaltete.
Sie goss sich Champagner ein und musterte ihr Werk. „Du darfst so aussehen", sagte sie zu der Statue. „Dich gibt es nicht." Ihn konnte sie nicht retten und in ihn konnte sie sich auch nicht verlieben, und das machte ihn zum idealen Mann für sie.
Vor zwei Jahren, an dem Tag, an dem sie vor dem Altar vergeblich auf ihren Bräutigam gewartet hatte, war der Zauberkünstler Chase Quinn spurlos verschwunden. Er war in die stillgelegte Tucker Mine am Stadtrand gestiegen und nicht wieder herausgekommen.
Zunächst hatte die Presse es für den Publicity-Gag des Jahrhunderts gehalten, für die tollste Nummer, seit der Große Houdini sich aus dem verschlossenen Tresor befreit hatte. Doch als erst Tage, dann Wochen vergingen und Quinn verschwunden blieb, begannen die Leute sich zu fragen, ob an dem angeblichen Fluch doch etwas dran war.
Henry Henneman gab den Plan auf, das alte Bergwerk in einen Vergnügungspark zu verwandeln. Das Paradise Hotel fand einen neuen, wenn auch nicht so eindrucksvollen Zauberkünstler. Chase' Nachfolger war zwar kein Kassenschlager, aber wenigstens zuverlässig, was Chase Quinn nie gewesen war.
Nach einigen Monaten erinnerte sich niemand mehr an ihn.
Außer Jenna.
Sie wusste nicht, wie es begonnen hatte. Vielleicht war es nur das zufällige Zusammentreffen seines Verschwindens mit ihrer ausgefallenen Hochzeit gewesen. Sie wollte nicht glauben, dass es mehr als das war. Sie hatte gesehen, was seine Nähe selbst bei den erfahrensten Showgirls auslöste. Und für Jenna war Chase Quinn immer die Art von Mann gewesen, von dem eine Frau wie sie sich besser fernhielt.
Männer, die so aussahen wie er, brachten nichts als Probleme. Er wirkte so jungenhaft, und sein trauriger Blick drang ihr bis in die Seele. Obwohl sie eine Schwäche für solche Männer hatte, warnte irgend etwas in ihr sie vor ihm. Chase Quinn würde ihren Untergang bedeuten.
Also war sie ihm stets aus dem Weg gegangen, hatte die Zeit zwischen den Shows in der Garderobe verbracht und davon geträumt, genug Geld zu verdienen, um der Bühne Lebwohl sagen und endlich als Künstlerin arbeiten zu können.
Sie legte den Kopf zur Seite und betrachtete die Statue, die sie erschaffen hatte. Eine ungefährliche, kontrollierbare Phantasie. So sicher und risikolos wie das Leben, das sie für sich gewählt hatte.
Sicher und risikolos und einsam.
Jenna ging mit schweren Schritten zum Regal, auf dem die Champagnerflasche in einem mit Eis gefüllten Farbeimer stand. „Verdammt, Chase Quinn", murmelte sie und leerte die Flasche. „Warum kann ich nicht aufhören, an dich zu denken?"
Sie hatte nicht vorgehabt, sein Abbild zu erschaffen. Eigentlich hatte sie Michelangelos David zum Vorbild nehmen und ihn wie einen Mann dos 20. Jahrhunderts aussehen lassen wollen. Aber dann versuchte sie, ihr Meisterwerk noch zu verbessern, indem sie den Körper noch athletischer und das Gesicht noch markanter machte - und stand schließlich vor der Statue eines Mannes, dem sie noch nie begegnet war.
Seit ein paar Tagen hatte sie ein ganz eigenartiges Gefühl. Jedesmal, wenn sie die Statue betrachtete, kam es ihr vor, als könnte die Gipsge stalt jeden Moment zum Leben erwachen.
Als sie eines Morgens das kleine Atelier hinter der Kapelle aufschloss, glaubte sie, den würzigen Geruch eines Holzfeuers wahrnehmen zu können. Und gestern waren die Kissen auf dem Sofa zerknüllt, als hätte jemand dort geschlafen. Das war natürlich eine unsinnige Vorstellung, denn außer ihr wäre kein Mensch verrückt genug, um in der Gesellschaft all dieser leblosen Figuren zu schlafen.
Dicke Regentropfen prasselten gegen die Fenster, und in der
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