Das Mädchen und der Schwarze Tod
Priester am Hals zurück, während ihm gerade die Kapuze vom Haupt rutschte. Diese Tatsache rettete Matthias Prütz das Leben, denn der Priester hielt einen Ziehhaken in der Hand, den er offenbar gerade in seine Richtung geschwungen hatte. Die lange Stange mit der gebogenen Metallspitze hatte ihn nur knapp verfehlt.
»Pater Nikolaus?«, fragte Matthias ungläubig und sah dem entschlossenen Mann in die Augen. »Was zum -«
Der Pater hatte die Stange wieder unter Kontrolle und legte sie erneut auf Matthias an. Dieses Mal traf er.
»Herr!«, gellte Matthias’ Schrei, als er den Boden unter den Füßen verlor. Trotz des schwerelosen Gefühls in seinem Magen hoffte er, der weiche Untergrund des Ufers würde seinen Sturz abfedern. Doch der Aufprall war hart und schmerzhaft. Etwas knackte. Die Holzbalken! Matthias brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen, dass das Geräusch vermutlich von seinem Rückgrat stammte. Er war auf die Holzbalken gefallen, die hier im Frühling im Abstand von etwa ein bis zwei Ellen als Gehhilfe für die Schauerleute in den morastigen Grund gelegt worden waren.
Matthias versuchte, seine Arme zu bewegen, doch die wollten ihm nicht gehorchen. Er versuchte, den Kopf zu heben, doch alles, was ihm gelang, war ein mühseliges Augenzwinkern. Wenn er es genau bedachte, spürte er seinen Körper kaum noch. Schritte verhießen nichts Gutes.
»Keine Angst«, hörte er die helle Stimme des Paters keuchen. »Ich mache dem ein Ende.« Dann hob er einen Stein auf und beugte sich über ihn.
Matthias wollte protestieren, wollte irgendetwas sagen, um den Domherren aufzuhalten. Er versuchte vergeblich, den Kopf hin und her zu werfen und weinte heiße Tränen. Doch das Letzte, was er sah, war der Stein, der mit schwerer Wucht auf seinen Kopf niedersauste.
Pater Nikolaus stand über dem noch blutenden Leichnam des jungen Kaufmanns aus Oldesloes Haus, Matthias Prütz, den er gerade vom Boden eines der Speicher gestoßen hatte. Der Mann hatte sich auf den Holzbohlen am Ufer den Schädel eingeschlagen und mehrere Knochen gebrochen.
»Wie immer zu feige, deinem Opfer von vorne gegenüberzutreten, wie?«, fragte Anton Oldesloe den Domherrn Nikolaus. Er trat zu dem Priester hinter eines der alten und moosgrünen Heringshäuser an der Trave, in denen Salz und Salzheringe gelagert waren. Sie befanden sich nur wenige Dutzend Ellen von jenem Platz entfernt, auf dem ein neues, größeres Holstentor gebaut werden sollte, um der Stadt ein Wahrzeichen zu geben.
Nikolaus segnete den Toten mit gutem, reichhaltigem Mutterboden ein. Jetzt sah er auf, sein schmales Gesicht grau und müde, und antwortete nicht. Er vollendete die Salbung des Leichnams mit Kuhmilch und dem gesprochenen Gebet in jener erdig-fremden Sprache, die den Slawen eigen war. »Mir geht das Töten nicht so leicht von der Hand wie dir, Anton«, sagte er dann. »Was tust du hier?«
»Ich habe den Bauplatz besucht.« Dieses Projekt wurde von Oldesloe mit viel Kraft und Energie vorangetrieben, doch das öffentliche Geld war knapp. Er sagte immer, wer Lübeck besuche, müsse gleich mit entsprechender Pracht begrüßt werden. Nikolaus selbst hatte sich immer mehr darüber geärgert, dass jeder Besucher, der durch das Westtor kam, vom Gestank gammeligen Fisches der alten Heringshäuser empfangen wurde. Ihm wären ein paar neue Salzspeicher wichtiger. Doch das Geld reichte ja, wie sich nun herausgestellt hatte, nicht einmal für das Holstentor.
Nun sah der Kaufmann dabei zu, wie Nikolaus die Spuren seiner Untat so weit tilgte, dass der Tod des Gesellen aussähe wie ein Unfall. »Als wir drei damals beschlossen haben, dass jeder seinen Teil zum Gelingen des Totentanzes beitragen muss, da habe ich nicht gedacht, dass ihr feige tötet wie die Weiber! Aber Gift! Das ist Frauensache, Nikolaus! Ein echter Mann sieht seinem Opfer in die Augen, wenn er es erschlägt!«
Nikolaus spürte die Galle in seinem Magen. Ihm hatte es gereicht, dem Bischof beim Sterben zuschauen zu müssen, um ihm den Magen völlig zu entleeren. Beim Domherrn und dem Arzt hatte Lynow ihm Hilfe in Gestalt dieses groben Schlägers namens Stocker geholt, da war es leichter gewesen. Außerdem hatte niemand den Tod mehr verdient gehabt als dieser Hurenbock Paulus. Bei dem vor ihm liegenden Kaufmann war es auch hart gewesen. Anders als er hatte Oldesloe fast alle seine Opfer mit eigenen Händen getötet.
»Nicht jedermann hat deine Kraft, Anton«, seufzte er nun. »Aber auch du hast Leute
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