Das Mädchen und der Zauberer
Küste, das Meer, die Palmen und die flachen Dünen von Anse Mitan. Es sah etwas ungelenk aus, sehr naiv, um es höflich auszudrücken, so daß man sich wundern konnte, wieso man dem Maler Aubin in Marseille den Ersten Preis zuerkannt hatte. Aber es war sicherlich der eigene Aubin-Stil, eine Verbindung von naiv und kindlich. In der modernen Kunst ist ja alles möglich. Da kann man für mit Fett beschmierte Kinderbadewannen rund 100.000 Mark verlangen. So gesehen, war Aubins Skizze des liegenden Mädchen von Mitan ein Meisterwerk.
Als die schöne Badende später nach Fort de France mit dem Pendelboot zurückfuhr, war auch Aubin an Bord. Nach dem Anlegen bummelte er über die Landungsbrücke zum Boulevard Alfassa. Das Mädchen saß wieder auf seinem roten Rucksack am befestigten Meerufer und blickte über die schöne Bucht.
Aubin kam näher, blieb neben ihr stehen und tippte an seine Leinenmütze, auf der in den Farben des Regenbogens Martinique gestickt war. Eine typische Touristenmütze. Kein Einheimischer trüge so etwas. Das Mädchen beachtete ihn nicht, sondern blickte weiter ungerührt über das Meer.
»O Wandersfrau, o Wandersfrau, wie weht das Lüftchen heute flau …« sagte Aubin forsch. Er fand es gut. Dichten war leichter als Malen.
»Hau ab!« sagte das Mädchen grob.
Aubin blickte auf sie hinunter. Ihr rötlich-braunes, kurzgeschnittenes Haar glitzerte in der Sonne wie Kupfer. Im Nacken hatte sie einen kleinen Leberfleck.
»Ich will Ihnen etwas zeigen …« fing Aubin wieder an.
»Mach 'ne Fliege!« war die harte Antwort.
»Etwas ganz Schnuckeliges …«
»Wenn du Ferkel nicht sofort abhaust, bekommst du 'nen Tritt!« sagte sie gefährlich ruhig. »So Säue wie du laufen genug rum!«
»Wir reden da von völlig verschiedenen Dingen, Mademoiselle.« Aubin schlug seinen Skizzenblock auf. »Ich hatte das Glück, vor zwei Stunden einen der schönsten Körper zu zeichnen, die ich bisher gesehen habe. Nur das wollte ich Ihnen zeigen.«
Er hielt ihr die Skizze unter die Augen, sie nahm den Block, betrachtete das Bild und blickte jetzt erst zu Aubin hinauf. Er war, wie gesagt, mit seinen blonden Haaren und seiner sportlichen Figur ein Mann, den man ansehen konnte. »Ein Foto wäre besser gewesen«, sagte sie kritisch.
»Foto! Das kann jeder. Ich bin Kunstmaler, das kann nicht jeder.«
»Möglich, aber hier sehe ich aus wie eine Mißgeburt. Vielleicht ist das moderne Kunst, aber ich mag sie nicht. Meine Brüste sind in Wirklichkeit viel schöner.«
»Das stimmt!«
»Wollen Sie mir die Skizze schenken?«
»Wenn Sie Ihnen gefällt, bitte.«
»Danke.« Sie riß das Blatt aus dem Block und zerknüllte es dann. »Sie gefällt mir eben nicht.« Sie blitzte Aubin mit ihren graugrünen Augen an. »Böse, was? Ein Jahrhundertwerk ist vernichtet worden.«
»Ich kann es wieder nachzeichnen. Ihr Körper brennt mir im Gedächtnis.«
»Was wollen Sie eigentlich?« fragte sie aggressiv.
»Ich habe Sie lange genug beobachtet. Sie haben keine Unterkunft, nicht wahr?«
»Nein! Na und?«
»Wollen Sie im Urwald schlafen?«
»Warum nicht. Hier soll es keine giftigen Tiere geben, außer den Menschen.«
»Sehen Sie, und da steckt die Gefahr.«
»Man kann überall schlafen. Ich habe einen Schlafsack bei mir. Im Zuckerrohrfeld, bei den Ananas, in den Farnen, irgendwo in den Bergen. Ich habe schon ganz anders geschlafen.« Sie blitzte Aubin wieder an. »Ich nehme an, Sie wollen mir Ihr Bett anbieten!«
»Nein, das geht ganz und gar nicht. Ich wohne in einem feudalen, anständigen Hotel.«
»Unbegreiflich, wie man mit solchen Kritzeleien soviel Geld verdienen kann!«
»Sie trampen durch die Welt?«
»Sie merken wirklich auch alles!« sagte sie schnippisch. »Ja, ich sehe mir den Globus an, solange ich noch jung bin. Wenn ich später einen immer müden Mann und sechs Kinder habe …«
»Bei sechs Kindern muß man das verstehen.«
»Was?«
»Daß er dauernd müde ist.«
»Sie sind ja ein Witzbold!«
»Und Sie rechnen wirklich mit sechs Kindern? Muß das ein Erlebnis sein: Mama, Papa und sechs Kleine mit roten Rucksäcken quer durch die Welt.«
»Sie fangen an, reichlich blöd zu werden, Monsieur.«
»Jean Aubin.«
»Von mir aus. Ich heiße Jeanette Dufour. Heimathafen Lyon. Von Beruf medizinisch-technische Assistentin. Ohne Bindungen, nicht vorbestraft, geistig normal, körperlich gesund, Männer sind mir egal …«
»Sechs Kinder!« rief Aubin warnend.
»… von unbändigem Freiheitsdrang, ohne Angst, in
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