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Das Mädchen und der Zauberer

Das Mädchen und der Zauberer

Titel: Das Mädchen und der Zauberer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sturm kentern. Wer weiß, was der Gott bestimmt? Vielfältig ist sein Fluch, und immer wird es so aussehen, als sei es ein Unfall, ein Zufall, ein rätselhaftes Schicksal. Nur Geduld, meine kleine Josephine …
    Schon in der Morgendämmerung des nächsten Tages fuhren sie mit Totagans Wagen von Le Diamant nach Norden zur Atlantikküste und hielten in Le Robert am Hintereingang des Restaurants Tong Yen, einem vietnamesischen Lokal, das berühmt war wegen seiner Küche und vor allem seiner soupe maison, die aus Hühnerfleisch, Krabben, Langusten und Champignons bestand. Im Tong Yen arbeitete als Gemüseputzer ein dicker Kreole, den Jules einmal vor Jahren von einem Magengeschwür geheilt hatte. Während eines Voodoo-Zaubers hatte er ihm eine lange silberne Nadel in den Bauch gestoßen, und auf das andere Ende der Nadel einen abgebissenen Hahnenkopf gespießt. Der Kranke hatte laut gestöhnt, die Augen verdreht und war in eine tiefe Ohnmacht gefallen. Als er aufwachte, hatte er keine Schmerzen mehr. Eine Woche später röntge man ihn im Hôpital Civil von Fort de France. Auf dem Röntgenbild sah man nicht ein Fleckchen mehr von einem Magengeschwür. Seitdem verehrte der Geheilte Jules Totagan wie eine Verkörperung des Gottes und küßte die Erde, auf der Jules vor ihm gestanden hatte.
    Der Gemüseputzer fiel auch sofort auf die Knie, als er Totagan sah, und begann einen monotonen Singsang, bis Jules ihn mit der Spitze seines Voodoo-Stockes im Nacken berührte. Der dicke Kreole fiel auf sein Gesicht und schien wie vom Blitz getroffen.
    »Beschreibe, Alice, wie er aussah!« sagte Totagan. »Vergiß nichts.«
    »Ich … ich weiß es nicht mehr …« stammelte Alice. Sie lehnte sich gegen die Hofmauer und schloß die Augen.
    »Erinnere dich!«
    »Er war ein älterer Mann, mit schwarzen Haaren, breiten Schultern, ein Weißer … seine Nasenspitze war nach unten gebogen … an der linken Hand trug er einen goldenen Ring mit einem dicken blauen Stein … wenn er sprach, zog sich seine Unterlippe links etwas nach unten … ja, ich sehe es wieder … es muß eine kaum sichtbare Narbe sein, die er am Mund hat … und wenn er geht, pendelt er mit den Armen …«
    Sie schwieg abrupt, schlug die Hände vor ihr Gesicht und begann zu weinen. Jules Totagan berührte wieder mit der Spitze des Voodoo-Stockes den wie tot Daliegenden.
    »Wer ist es?« fragte Jules. »Kennst du ihn? Hast du ihn schon mal gesehen? Denk nach! Die Weißen kommen oft in dein Restaurant. Wer könnte es sein?«
    Für ein paar Augenblicke hielt nun sogar Totagan den Atem an. Der dicke Kreole hob den Kopf und stierte in die Gegend.
    »Murat«, sagte er dann tonlos, als sei er in einer anderen Welt. »Pierre Murat kann es sein … Er hat einen schiefen Mund, wenn er lacht … er ist ein Weißer …«
    »Wo?«
    »Die Plantage heißt La Reine d'Ananas … bei Glotin liegt sie … drei Plantagen … Zuckerrohr, Ananas, Bananen … Pierre Murat …«
    »Die Götter lieben dich, mein Bruder«, sagte Jules Totagan feierlich und strich mit dem Voodoo-Stock langsam über den Rücken des Liegenden. »Dein Lohn ist ihre beschützende Güte.«
    Noch lange lag der Kreole auf dem Boden, als Jules und Alice längst weitergefahren waren nach Vert-Pré, von wo aus sie über Wege durch die Felder den kleinen Ort Glotin erreichen konnten. Ein paarmal hielt Jules an und fragte die Landarbeiter, denen sie begegneten:
    »Kennt ihr Pierre Murat?«
    Und sie antworteten, immer mit Ehrfurcht in der Stimme: »Meint ihr den Patron von La Reine?«
    »Ja. Diesen!«
    »Ein harter, strenger Mann. Aber er zahlt gut.«
    Und in der Nähe von Glotin, in einer Siedlung aus bunt gestrichenen Holzhäusern, die bereits Murat gehörte, spuckte eine alte Kreolin aus und kreischte: »Der Satan hole ihn! Meine Enkelin hat er geschwängert. Wo ist sie jetzt? In einem Puff in Fort de France. Der Himmel stürze über ihm ein!«
    »Der Himmel sieht alles, Schwester!« sagte Jules Totagan feierlich. »Er wird nicht einstürzen, aber er hat Blitze, die erschlagen.«
    Am späten Nachmittag erreichten sie das große, weiße Farmhaus des Pierre Murat. Eine Allee aus großen Fächerpalmen führte hinauf, wie zu einem Schloß. Der Wächter, der in einer Art Wachhaus neben der Zufahrtsstraße saß, kam heraus, als Jules seinen Wagen bremste.
    »Wohin?« fragte er streng.
    Jules hielt wortlos seinen Voodoo-Stab vor sich hin. Ein Zittern flog durch den Körper des Wächters, seine Augen weiteten sich, aber getreu seiner

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