Das Mädchen und der Zauberer
aber spürte Coulbet, daß die Dinge einem Höhepunkt zutrieben, den niemand mehr verhindern konnte. Auf jeden Fall durfte man jetzt René und Petra nicht mehr aus den Augen lassen. Wie die Dinge auch laufen, sie haben nur eine Richtung: die Vernichtung von Petra Herwarth. Und sie mußte erfolgen, bevor René sie in der neuen Kathedrale von St. Pierre heiratete, in etwa sechs Wochen, wie er bekanntgegeben hatte. Die Vorbereitungen für eine Hochzeitsfeier, wie sie Martinique selten zu sehen bekam, waren bereits im Gange, die Einladungen waren verschickt. In diesem Zeitraum mußte es also geschehen!
Aber was geschehen sollte, das konnte auch Coulbet sich nicht ausdenken. Vor den Schreckensmöglichkeiten des Voodoo versagte alle Fantasie.
Coulbet fuhr zurück nach Fort de France, rief sofort bei René Birot an und hatte Petra am Apparat. Es muß sein, dachte er, es ist nicht mehr die Zeit, Rücksicht zu nehmen und um die Dinge höflich herumzureden. Sie wird schon längst gemerkt haben, daß es auf dieser Erde keine Paradiese mehr gibt. Auch Martinique ist kein Paradies!
»Petra –« sagte Coulbet mit nüchterner Stimme. »Hier Robert. Robert Coulbet.«
»Der schönste Mann von Martinique«, erwiderte sie lustig. Coulbet lächelte nicht einmal, so ernst war es ihm. »René ist in der Fabrik. Was gibt es?«
»Gehen Sie keinen Schritt mehr allein aus dem Haus!«
»Mein Gott – was ist denn los?!«
»Ich habe Gründe genug, anzunehmen, daß Josephine Sie in Kürze ausschalten will.«
»Josephine? Dazu hätte sie doch neulich Gelegenheit gehabt.«
»Ich bin orientiert. Trauen Sie dem Frieden nicht. Er ist trügerisch. Es braut sich etwas zusammen. Seit heute nacht haben wir einen Ermordeten und einen Vermißten.«
»Im Zusammenhang mit mir?« fragte sie leise. Ihre Stimme war plötzlich belegt.
»Ich vermute es.« Coulbet kratzte sich den Nasenrücken. »Nur weiß ich nicht, wie das alles zusammenpaßt. Es ist ein Puzzlespiel, bei dem mir einige wichtige Teile fehlen, damit ich das Ganze erkennen kann.«
»Wer … wer ist der Tote?«
»Ein kreolischer Landarbeiter.«
»Und der Vermißte?«
»Ein bekannter Farmer. Pierre Murat.«
»Den Namen habe ich auf unserer Gästeliste zur Hochzeit gelesen. Aber wieso hat das mit mir zu tun?«
»Ich weiß fast mit Gewißheit, daß hinter diesen Verbrechen eine Kulthandlung des Voodoo steckt. Das ist ja das Ungeheure: Was wir als Verbrechen ansehen, ist für den Voodoo eine religiöse Tat, göttergewollt, göttergeweiht. Petra, ich bitte Sie mit allem Nachdruck: Bleiben Sie, wenn es möglich ist, die nächsten acht Tage zu Hause, seien Sie nie allein, auch, wenn Sie auf dem eigenen Grundstück Spazierengehen, im Garten, zur Fabrik, in das Dorf … nie allein sein! Ich weiß nicht, was passiert, ich weiß nur, es wird etwas passieren. Sagen Sie bitte René, er soll mich sofort anrufen, wenn er zurückgekommen ist. Versprechen Sie mir, Petra, nichts mehr allein zu tun?«
»Ich verspreche es, Robert.«
Aufatmend, etwas erleichtert, legte Coulbet auf. Er zuckte dennoch zusammen, als das Telefon sofort wieder anschlug. Julien Prochet war am Apparat.
»Robert. Endlich!«
»Was gibt es bei dir, Julien?«
»Eine große Scheiße! Felix und Alain sind nun auch verschwunden.«
»Das habe ich erwartet.«
Einen Augenblick war Prochet stumm. Er war zu überrascht. Dann aber sagte er bitter: »Das war ausgesprochen kollegial … mir das nicht gleich zu sagen!«
»Felix und Alain sind nur zurück in ihr Dorf, zu ihrer Familie. Das beweist, daß sie mit der Rückkehr von Murat nicht rechnen. Daß sie mehr wissen! Aber sie werden nie etwas sagen. Der Fluch des Voodoo käme über sie. Für dich ist Voodoo nur ein fauler Zauber, nicht wahr, Julien?«
»Ja! Auf Haiti habe ich mal einer Vorführung beigewohnt, Touristenrummel! Mystischer Karnevalszauber! Ich bin dabei, die beiden zu suchen.«
»Wozu? Sie werden in der Zelle sitzen und schweigen. Das bringt nichts. Wir sollten einen anderen suchen. Jules Tsologou Totagan. Er muß seit Tagen unterwegs sein, spurlos, lautlos, und das macht mich mobil! Weißt du überhaupt, wer Onkel Jules ist?«
»Ja, so ein verschrobener Wunderheiler der Kreolen.«
»Ihr oberster Houngan, Julien!«
»Also, ein Obernarr!«
»So kann man es auch sehen. Gott segne deine Jugend, Julien! Die Unbekümmertheit eurer Generation ist umwerfend! Ich hoffe, daß du in ein paar Tagen die Augen öffnest wie eine junge Katze.«
Coulbet nutzte den Abend, um
Weitere Kostenlose Bücher