Das Mädchen und die Herzogin
ganz genau: Wenn schon ihr eigenes Lebensglück zerstört war, dann wollte sie wenigstens bis zum Letzten für ihren Sohn kämpfen.
Sie nahm den Vierjährigen, der sich noch immer weigerte, sie ‹Mutter› zu nennen, auf den Schoß und gab ihm einen Kuss.
«Du wirst bald Herzog dieses Landes sein, und es ist ein Land, wie es schöner nicht sein kann. Du wirst es regieren.»
«Will nicht regieren! Will lieber raus aus dieser blöden Festung.»
Sabina lachte. «Das darfst du auch. Du darfst dann reiten, wohin du willst.»
«Auch ans Meer? Ich will das Meer sehen.»
«Aber ja. Nur ist das Meer ganz weit weg.»
«Trotzdem.» Er sah sie aufmerksam an. «Warum hab ich keinen Vater?»
«Du hast einen, mein Junge. Dein Vater ist Herzog Ulrich.»
«Aber der ist böse.»
«Das darfst du nicht sagen.» Sabina suchte nach Worten, dabei traf ihr Blick unwillkürlich den von Marie, die ihr gegenüber am Tisch saß. «Er tut nur nicht immer das Richtige, wie so viele Menschen.»
«Will jetzt weitermalen», maulte der Kleine und rutschte von ihrem Schoß.
Sie bemerkte, dass Marie sie immer noch ansah und fragte: «Hast du etwas auf dem Herzen?»
«Der neue Burgvogt hat eine Kindsmagd gefunden. Morgen schon soll sie ihren Dienst antreten.»
Daran hatte Sabina gar nicht mehr gedacht. Wieder einmal war sie nur mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt gewesen. Dabei wusste sie, dass Marie niemanden hatte, bei dem sie unterkommen konnte, dass sie mit Veith schutzlos auf der Straße stehen würde, wenn man sie entließ. In den wenigen Wochen, die sie Marie nun kannte, war sie ihr ans Herz gewachsen, und das nicht nur aus Mitgefühl. Sie bewunderte das Mädchen, das nach außen hin so zurückhaltend wirkte und dabei den Mut einer Löwenmutter besaß.
«Mein Bruder will morgen zurück nach München. Am besten, ich gehe gleich zu ihm und rede mit ihm. Du und Veith, ihr sollt bei meinen Kindern bleiben.»
Als sie in Wilhelms Turmstube geführt wurde, die ihm als provisorische Canzlei diente, stand ihr Bruder neben seinem Secretarius am Schreibpult und sah erfreut auf.
«Wie gut, dass du kommst. Ich wollte dich eben holen lassen.»
Er schickte seinen Schreiber hinaus, und sie setzten sich ans Fenster.
«Du wirst mit uns nach München gehen. Es wird zu gefährlich hier für dich. Es könnte zu einem neuen Krieg mit Ulrich kommen.»
Sabina sah ihn erschrocken an.
«Aber – hattest du nicht gesagt, Ulrich sei aus dem Spiel? Dass er keinen Muckser mehr wagen würde, wo euer Riesenheer immer noch bereitsteht?»
Wilhelm zuckte die Schultern. «Jemand, der bei Sinnen ist, würde es nicht wagen. Aber Ulrich ist nicht bei Sinnen, das weißt du selbst am besten.»
Er fasste sie beim Arm. «Wir haben unsere geheimen Quellen, Ulrich rüstet tatsächlich auf. Sei vernünftig und komm morgen mit mir nach München. Für alle Fälle.»
«Und – Christoph?» Sie ahnte die Antwort bereits.
«Er darf nicht außer Landes. Nicht, solange Carlos nicht zum Kaiser gewählt ist und über die Sache Wirtemberg entschieden hat.»
Sabina lachte laut auf. «Glaubst du wirklich, ich würde mich noch einmal von Christoph trennen? Ich bleibe hier, und Marie im Übrigen auch. Wir brauchen kein neues Kindermädchen, sag das deinem Vogt.»
Wilhelm blieb der Mund offenstehen.
«Du wirst doch nicht im Ernst wollen, dass die Hure deines Mannes die Kinder hütet?»
«Erstens sehe ich Ulrich längst nicht mehr als meinen Gemahl. Und zweitens verdrehst du die Tatsachen. Marie hat sich Ulrich nicht angeboten, er hat sie vielmehr mit Gewalt genommen. Auch wenn dieser Unterschied euch Männern nicht immer in den Kopf will.»
34
Einen Tag vor Peter und Paul, dem 28. Juni anno 1519, war Carlos von Spanien, oder Karl, wie er nun hierzulande hieß, einstimmig zum deutschen König und damit zum Kaiser des Heiligen Römischen Reiches gewählt worden. So hatte das Gold für die Schmieralien, Pöstchen und Ehrenämter, das der junge, eitle Franzosenkönig Franz säckeweise auf Maultieren nach Deutschland hatte schaffen lassen, denn doch nicht ausgereicht, um auch nur einen der sieben Kurfürsten auf seine Seite zu ziehen.
Wochenlang erging sich das Reich im Freuden- und Festestaumel. Auch in Wirtemberg gab es unzählige Dankgottesdienste, Festbankette und Aufmärsche, doch die Untertanen selbst mochten hier nicht so recht mitfeiern. Zu bedrohlich hing noch immer das Damoklesschwert der Ungewissheit über ihrem Land: Wer würde sie künftig
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