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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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Besteck. Nur ganz alte Aparai-Damen wie Peputo legten großen Wert darauf, ihre Portion aus einer Tonschale mit traditionellem Muster zu essen. Mit spitzen Fingern zermatschte sie das Fleisch und das Maniokbrot zu einem undefinierbaren Brei, bevor sie ihn sich in den Mund schob. Urgroßmutter Peputo hatte nämlich empfindliche Zähne.
    Wer fertig war, musste warten, bis die Köchin unaufgefordert nachlegte. Nach einem Nachschlag zu fragen, wäre niemandem eingefallen. Während alle noch in Ruhe zu Ende aßen, lachten und palaverten, zogen sich die Eltern mit den kleineren Kindern bereits in ihre Hängematten zurück. Bald erklangen aus den Hütten Schlaflieder, die in sanften Klangwellen zu uns herüberwehten. »E imo, eimo pitiko, kleiner, kleiner Junge … ich singe dir die Geschichte vom heutigen Fischfang, wo der riesengroße Fisch mitsamt dem Angelhaken fortgeschwommen ist, während wir mit der leeren Angelschnur am Ufer standen und das Nachsehen hatten …«
    Mir gefielen solche Lieder sehr, gesungene Gutenachtgeschichten, die von den Müttern, Vätern oder Großeltern spontan erfunden wurden. Sie waren spannender als die uns vertrauten traditionellen Lieder, weil jede Ballade eine Überraschung versprach. Meist eine, die uns Kinder zum Lachen brachte. Die monotone Melodie und die Wiederholungen der Refrains machten auf angenehme Weise schläfrig. Wenn ein Kind dennoch partout nicht schlafen wollte, kamen die Eltern mit ihrem nimmermüden Schützling wieder in die Runde zurück. Irgendwann würde selbst der wacheste Geist in der Trageschlinge seiner Eltern einschlummern. Kämpfe mit Kindern, die nicht einschlafen wollten, gab es bei den Aparai nicht. Wozu etwas erzwingen, das doch irgendwann von ganz allein passierte?
    Nachdem die Letzten mit dem Essen fertig waren, machte man sich auf den Weg zum großen Abendfeuer. Araiba klemmte sein Merere, sein Sitzbänkchen, unter den Arm. Malina stapelte ein paar Holzscheite in ihre Rückenkiepe, und Großmutter Antonia legte die Arme stützend um die Hüften der alten Peputo, um sie sachte Richtung Dorfplatz zu schieben.
    Gesättigt und mit einem wohligen Gefühl im Bauch schlenderten Sylvia, Koi und ich den Erwachsenen hinterher. Am großen Lagerfeuer hockte bereits Anakalena, der uns mit einem freundlichen Winken begrüßte. Sein Sohn Charly war auch schon da. Emsig schnitzte er an fingerdicken Holzstäben herum, bis sie annähernd so aussahen wie Speere. Um seinen Sitzplatz herum hatte sich ein Kranz aus feinen Holzspänen gebildet. Mikulu musterte Charly mit glänzenden Augen, es war ihm anzusehen, wie sehr er den Älteren bewunderte. War ein Speer fertig, brannte Charly mit glühenden Holzspänen Muster in die Stäbe. Zickzacklinien zogen sich über das runde Holz, unterbrochen von kleinen Punkten. Er war ein richtiger Künstler, was das betraf. Vermutlich wollte er mit den neuen Speeren auf Leguanjagd gehen. So ein dicker, grün schillernder Leguan war eine willkommene Abwechslung auf unserem Speiseplan. Reptilienfleisch schmeckt ein wenig wie Huhn, nur etwas zarter. Vor allem aber war so ein Leguan eine gute Beute für Jungen, die ihre Technik verbessern wollten, bevor sie zur richtigen Jagd in den Urwald mitgenommen wurden.

    Mein Freund Charly
     
    Charly pustete die Holzspäne fort und rückte mit seinem Tunnelbänkchen ein wenig nach hinten. Dankbar über diese freundliche Geste, hockten wir uns neben ihn. Wer Glück hatte, bekam ein Stück Baumstamm als Sitz ab, andere machten es sich auf geflochtenen Palmblättermatten bequem. Zur Not setzte man sich direkt auf den blank gefegten Lehmboden.
    Langsam füllte sich der Dorfplatz wieder mit Leben. Der Kreis um das Lagerfeuer erweiterte sich zusehends. Alte Damen und Herren saßen neben kleinen Kindern, junge Frauen hockten neben Besuchern aus den Nachbardörfern, und die Jugendlichen rückten enger zusammen, um ungestört tuscheln zu können. In regelmäßigen Abständen brachen sie in hysterisches Kichern aus, über das die Erwachsenen mit leicht verwundertem Kopfschütteln hinwegsahen. Teenager benehmen sich, ungeachtet ihrer Herkunft, anscheinend überall auf der Welt ähnlich. Auch meine Eltern gesellten sich nach ihrem Abendbrot zu uns. Nicht selten begrüßte mich mein Vater mit einer Bemerkung wie dieser: »A ch, Cathrinchen, gibt es dich auch noch? Ich habe dich ja schon so lange nicht mehr gesehen, dass ich dachte, die Piranhas hätten dich aufgefressen.« Allgemeines Gelächter.
    »T ja, wenn ihr auch

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