Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
mal so lecker kocht wie wir, dann kommt sie vielleicht wieder öfter zu euch. Sie mag nämlich am liebsten Affenfleisch. Sie weiß halt, was gut schmeckt.« Wieder schallendes Gelächter.
Im Hochsommer, wenn die Zikaden am lautesten zirpten und es langsam Zeit wurde, die überreife Baumwolle auf den Feldern zu pflücken, verlegten wir das große Lagerfeuer an manchen Abenden auf die mächtigen Felsbänke am Fluss. Das war natürlich nicht ganz so traditionell wie unser Feuer in der Dorfmitte, aber umso schöner, weil wir es uns auf den Felsen so richtig bequem machen konnten. Von hier aus hatten wir einen sagenhaften Blick über die gesamte Bucht. Der steinige Grund, auf dem wir saßen, strahlte noch lange Wärme ab. Wenn man so möchte, eine indianische Fußbodenheizung. Das Rauschen der großen Stromschnelle lieferte die Hintergrundmusik für die Geschichten, die nun erzählt wurden. Manchmal ersetzte allerdings auch die Musik eines Plattenspielers das Gutenachtpalaver. Zumindest so lange, bis die Platte einen Sprung hatte oder die Technik ihren Geist aufgab, was aufgrund des Klimas in der Regel nicht sehr lange auf sich warten ließ. Die Plattenspieler waren billige Mitbringsel, die reisende Urwaldhändler oder Kaboklos den Aparai als Handelsware gegen Felle oder eine Bootsladung Wild aufschwatzten; ein gutes Geschäft für die Aparai war das selten. Doch wer einen Plattenspieler oder ein Transistorradio besaß, war zumindest für kurze Zeit ein Held. Araiba war heilfroh, wenn die Dudelei endlich vorbei war und wieder Geschichten erzählt wurden. Mit diesen modernen Errungenschaften konnte er – von Ausnahmen abgesehen – nämlich nur wenig anfangen. Dass die kaputten Geräte samt Batterien anschließend im Urwald landeten, ist eine andere Geschichte.
Kino für die Ohren
Eines Abends schloss Anakalena die Augen, legte seine Hände in den Schoß und begann mit ruhiger Stimme von den Anfängen der Welt zu erzählen. Wir wagten kaum zu atmen, und bis auf das Knacken und Prasseln des Feuers in unserer Mitte war kein anderer Laut zu vernehmen.
» Vor langer, langer Zeit war der Himmel ein großer runder Kreis, der von Himmelsträgern gehalten wurde. Gigantische Männer und Frauen, die den Himmel gemeinsam über ihren Köpfen trugen. In der Mitte des Himmels befand sich ein großer See, in dem gefährliche und mächtige Wasserungeheuer lebten. Diese Ungeheuer waren für Menschen nicht weiter bedrohlich, da sie sich ausschließlich von Pflanzen ernährten. Unter den Füßen der mächtigen Himmelsträger befand sich ein weiterer Kreis, die Erdscheibe, auf der die Aparai der alten Zeit lebten. Unsere Vorfahren. Damals lebten die Aparai noch in großer Zahl auf der Erde.«
Anakalena legte eine Kunstpause ein. Wir ahnten, weshalb. Alle hatten schon einmal von der Zeit der großen Kriege gehört, in der die Stämme einander überfielen, die Menschen sich gegenseitig erschlugen oder mit Pfeilen beschossen, bloß weil sie der Sprache der anderen nicht kundig waren. Auch hatte uns Peputo schon einmal von der Zeit der großen Wanderungen erzählt, in der viele Völker unterwegs Naturgewalten, Krankheiten und Entbehrungen zum Opfer gefallen waren. Wir hatten auch von den Morden an unseren Brüdern und Schwestern in jüngerer Zeit gehört. Holzfäller, Straßenbauer, Goldsucher, Großgrundbesitzer, Tagelöhner und Missionare, die ganze Dörfer mit ihren Krankheiten ansteckten, was für die Aparai und deren Nachbarvölker nicht selten tödlich endete. Dies waren Bedrohungen, in deren Bewusstsein auch wir lebten.
Anakalena beschrieb mit seinem Zeigefinger einen Kreis in der Luft, um seiner Erzählung ein wenig Nachdruck zu verleihen, dann fuhr er fort: »Um den Erdkreis, auf dem unsere Vorfahren lebten, zog sich ein gewaltiger Kranz aus Feuer. Seine mächtigen Flammen loderten Tag und Nacht. Sie waren unauslöschbar und schlugen so hoch, dass niemand sie überwinden konnte. Das war der große Feuerkranz der alten Zeit.«
Ein Holzscheit unseres Lagerfeuers knackte plötzlich so laut, dass wir alle erschrocken zusammenfuhren. Über Anakalenas Gesicht huschte ein Lächeln. Er genoss die Aufmerksamkeit, die wir ihm und seinen Geschichten entgegenbrachten. Flüsternd fuhr er fort: » Vom Osten bis zum Westen erstreckte sich der Lauf der Sonne, in Form des mythischen Jakare -Kanus. Und genau so verhielt es sich mit dem Lauf des Mondes.« Anakalena ritzte mit einem Stöckchen ein lang gezogenes Kanu in den Boden. In meinen
Weitere Kostenlose Bücher