Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
Geschichten, dass die Aparai-Männer in der alten Zeit an einer Liane den Kumaka -Baum in Richtung Himmel emporkletterten, um dort auf die Jagd zu gehen. Es gab so viele Vögel und Wild, dass die Jagd ein reines Kinderspiel war. Kaum dort angekommen, hatten sie schon reichlich Beute erlegt. Schwer beladen kehrten sie wieder auf die Erde zurück, wo sie von ihren Familien sehnlich erwartet wurden. Das ging eine ganze Weile lang gut, kein Aparai musste Hunger leiden, und alle wurden satt. Das Leben in jener Zeit war leicht und schön. Eines Tages aber stürzte der Urbaum um. Mit einem gewaltigen Krachen donnerte er zu Boden, und fortan waren Himmel und Erde voneinander getrennt. Über die Ursache des Baumsturzes gab es verschiedene Theorien, die Geschichte wurde an dieser Stelle von jedem Erzähler ein wenig anders interpretiert.
Eine Variante, die in meinen kindlichen Ohren sehr überzeugend klang, ging so: Vor langer, langer Zeit lebte einmal ein Jäger, der zwei Frauen hatte. Wenn er mit reichlich Jagdbeute beladen an der Liane vom Himmel auf die Erde hinabkletterte, bedachte er seine junge Zweitfrau mit den schmackhaften Vögeln, während seine ältere Erstfrau höchstens ein zähes Rebhuhn abbekam. Die Ältere ertrug diesen ungerechten Zustand eine Zeit lang klaglos, doch sie grämte sich jeden Tag mehr. Irgendwann kochte sie über vor Zorn. Da nahm sie sich ein Steinbeil und schlug den Baumstamm einfach mittendurch.
Der Sturz des riesigen Baumes löste eine gewaltige Katastrophe aus. Es folgten eine lange, tiefdunkle Nacht und ein eiskalter Sturm, der Menschen und Tieren gleichermaßen zu schaffen machte und viele von ihnen tötete. Mit dem Baum fiel auch die große Schlange zur Erde hinab, die bis dahin friedlich in seiner Krone gelebt hatte und fortan zur Bedrohung für die Menschen wurde.
Ich hatte schon eine richtige Gänsehaut, aber die Geschichte war noch lange nicht zu Ende: Als der Himmel nicht mehr mit der Erde verbunden war, begann er emporzusteigen, so hoch, bis er unerreichbar für die Menschen wurde. Die Mekku-Mekkus, die kleinen Affen, gerieten in helle Panik, als sie bemerkten, wie der Himmel entschwand. Ihr Affen-Häuptling befahl ihnen, umgehend ein hohes Gerüst zu bauen, um den Himmel festzuhalten. Doch sämtliche Mühen sollten vergeblich sein. Als die Mekku-Mekkus endlich oben ankamen, zog ein gewaltiger Sturm auf, der das Gerüst mit Leichtigkeit hinfortfegte, so dass alle Affen zu Boden fielen. Dabei zogen sie sich zahlreiche blaue Flecken zu. Man kann sie bis heute an den Bäuchen der Affen sehen, wenn man sie vor dem Kochen mit heißem Wasser überbrüht, um sie besser häuten zu können.
Die Menschen waren verzweifelt, als sie begriffen, dass von nun an keiner mehr in den Himmel hinaufklettern konnte. Anstelle der beutereichen Jagdgründe dort oben mussten sie von nun an auf die mühsame Jagd in den Urwald gehen.
Als Anakalena seine Erzählung beendet hatte, nahm er ein paar Holzscheite und legte sie in die Glut. Es dauerte eine Weile, bis das Schweigen durchbrochen wurde, jeder schien seinen Gedanken nachzuhängen. Den Kopf voller Eindrücke, schlenderten wir in unsere Hütten zurück. Das große Lagerfeuer in der Dorfmitte wurde kleiner und kleiner, am Morgen war nur noch ein Häuflein Asche übrig, das sorgfältig weggefegt wurde. Da meine Beine zu müde zum Laufen waren, trug mich Sylvia auf dem Heimweg Huckepack. Als wir die Schlafhütte von Antonia und Araiba passierten, flackerte dort bereits das kleine Nachtfeuer. Sylvias Bruder Inaina hatte es entfacht. Die Frauen standen mehrmals in der Nacht auf, um frisches Holz nachzulegen. Mit etwas Glück hielt sich die Glut bis zum Morgengrauen. Der harzige Holzrauch vertrieb die Moskitos, dafür wurde die ganze Nacht gehustet. Aber das war das kleinere Übel.
Gehäuteter Mekku-Mekku -Affe
Die Tapferkeit der Jaguare
Im Pfahlbau meiner Eltern brannte in den Nächten hingegen kein Feuer, keiner hustete, und als Lichtquelle am Abend diente einzig unsere bauchige Petroleumlampe, die zwar keinen Rauch, dafür aber einen penetranten Gestank verbreitete. Unsere Hängematten waren wegen der Stechmücken von luftigen Moskitonetzen umhüllt. Am Morgen wurden sie zu einem Knoten gedreht in die Balken gehängt, damit sich keiner darin verfing. Zum Schutz vor wilden Tieren und feindlichen Eindringlingen hielt mein Vater in der Nacht seinen Revolver griffbereit. Im Gebälk unseres Dachs knisterte und knackte es leise, wenn sich die
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