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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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Boot zurück nach Mashipurimo transportiert. Ich war mit von der Partie und thronte auf dem Rückweg stolz auf dem Haufen Palmwedel. Ein Palmblätterdach kann ähnlich wie ein Reetdach bei sehr guter Pflege eine Generation halten – das sind bei den Aparai rund vierzehn Jahre. Ob unsere Apotheke überhaupt so lange bestehen würde?
    Während die Männer damit beschäftigt waren, das Dach der Hütte zu decken, versorgten die Frauen alle mit Essenspaketen und Maniokbier. Als kleine Zwischenmahlzeit gab es Kochbananen, die in Bananenblätter eingewickelt in die Glut geschoben wurden, bis sie gar waren. Diejenigen, die nicht arbeiteten, kommentierten staunend und belustigt das Geschehen. So ein kleines Tapöi hatte man selten gesehen. Auch die Einrichtung des Rundhauses, die meine Mutter entworfen hatte, war etwas Besonderes. Sie bestand aus einer grob gezimmerten Holztheke mit einem abschließbaren Unterschrank, an dem mein Vater ein dickes Vorhängeschloss befestigte. Sicher war sicher. Und weil Medikamente inzwischen als harte Urwaldwährung galten, verfiel mein Vater außerdem auf die Idee, als Gegenleistung für die kostenlos abgegebenen Medikamente einen Bericht von den Kranken zu verlangen. Bekam jemand ein Arzneimittel, musste er anschließend den Verlauf der Wirkung schildern, was die meisten Patienten gerne und auch ausgiebig taten. Wer sich die Medikamente nur erschlich, um damit Handel zu treiben, flog auf. Die Daten wurden aufgezeichnet und später an eine Hilfsorganisation in Deutschland weitergegeben. Auch die Bedarfslisten für Medikamente wurden entsprechend ausgewertet. Die Erkenntnisse lieferten wichtige Informationen für die Tropenmedizin und für die Entwicklungshilfe.
    Auf uneingeschränkte Bewunderung stießen die Regale, die ungefähr die Hälfte der Innenwände aus Palmholz bedeckten und aus einfachen, etwas groben Holzbrettern gezimmert waren. Die vielen Fächer reichten bis zu den Balken der Deckenkonstruktion. Ansonsten hatte das Tapöi offene Wände – der guten Durchlüftung wegen. Auch der Graben zur Entwässerung war inzwischen fertig, so dass Besucher selbst in der Regenzeit trockenen Fußes über einen Steg in die Apotheke eintreten konnten. Und der Fußboden war – für Aparai-Häuser wirklich ungewöhnlich – mit großen, blank polierten Steinplatten bedeckt.
    Das war das beeindruckendste kleine Haus, das ich jemals gesehen hatte. Ich stellte mich in die Mitte des Raumes, wo ich mich vor lauter Freude wie ein Derwisch drehte, bis mir ganz schwindlig wurde. Irgendwann fiel ich um und blieb auf dem Boden liegen, bis sich der Drehwurm in meinem Kopf wieder einigermaßen beruhigt hatte.
    Kopfschüttelnd hatte mich meine Mutter beobachtet. »H ier gefällt es mir, hier möchte ich wohnen. Es sieht aus wie in einem Schneckenhaus!«, strahlte ich Mama an, die sich mit gekreuzten Armen über mich beugte. Vermutlich dachte sie, ich hätte mich heimlich über den Hustensaft hergemacht.
    Alles in dieser Urwaldapotheke kam mir wohlgeordnet, blitzsauber und übersichtlich vor. Ich bestaunte jedes Brett, jedes Holzfach, jede Schublade mit der übertriebenen Bewunderung, die sich für eine Aparai gehörte. Irgendwann wurde es meiner Mutter zu bunt. Etwas unsanft wurde ich vor die Tür gesetzt. Dies sei schließlich kein Spielplatz, sondern ein Ort für Kranke. »H usch, husch. Wir müssen fertig werden und Arzneimittel einräumen, bevor die ersten Leute kommen.«
    Draußen empfingen mich Koi und Mikulu. Die beiden hatten sich erst gar nicht hineingetraut in das eigentümliche Tapöi und waren in sicherer Entfernung stehen geblieben. In den darauf folgenden Tagen bezogen wir permanenten Spähposten in unmittelbarer Nähe der Apotheke. Wer wusste schon, ob da nicht doch etwas Zauberei im Spiel war. Ein dicker gefällter Baumstamm, umgeben von stacheligem Gestrüpp, diente uns als perfektes Versteck. Von den anderen unbemerkt, beobachteten wir, wie nach und nach mehr Leute die Urwaldapotheke aufsuchten. In den ersten Tagen kamen nur ein paar zaghafte Besucher vorbei, um sich Pflaster und Salben für kleinere Schnittwunden zu holen oder Hustensaft für die Kinder. Als die anfängliche Skepsis überwunden war, pilgerten ganze Gruppen und Großfamilien herbei, um Heilmittel für Kopfweh, Tinkturen gegen Blessuren und Medizin zu erbitten, die mehr Linderung versprach als das Rauchen von Zauberkraut oder das Murmeln von Beschwörungsformeln vor dem Essen. Viele wollten gleich Arzneimittel auf Vorrat

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