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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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ritzten sie ihre Entwürfe einfach in den Sand, dann wieder wurden eilig ein paar Bogen Papier aus dem »G artenhaus« geholt, die sich mit Skizzen und Notizen füllten. Endlich war der Plan für das kleine Gebäude fertig. Ebenerdig sollte es sein, ohne Stufen oder gar Leitern, die für Alte und Kranke zu einem unüberwindbaren Hindernis werden konnten. Einen festen Boden brauchte die Urwaldapotheke auch, der sich gut putzen ließ und nicht aus gestampfter Erde bestand, wie in den traditionellen Hütten. Selbst an einen tiefen Graben hatten meine Eltern gedacht, der um das kleine Gebäude gezogen werden sollte, damit die Wassermassen während der Regenzeit die Apotheke nicht überfluteten.
    Ich sehe meine Eltern noch vor mir, wie sie, über endlose Medikamentenlisten gebeugt, an unserem Küchentisch saßen. Hochkonzentriert, während sich mein Vater immer wieder mit einem Stofftaschentuch über die verschwitzte Stirn fuhr. »R esochin gegen Malaria, Vitamine gegen Mangelerscheinungen wegen einseitiger Ernährung, Sulfonamide und andere Medikamente zur Bekämpfung der eingeschleppten Grippe, Präparate gegen Augenkrankheiten, Ohren- und Halsschmerzen, Mittel gegen Durchfall, Eisen gegen Wurmkrankheiten«, hörte ich sie murmeln. In meinen Ohren klangen die Begriffe, deren Bedeutung ich nicht verstand, wie die Zauberformeln von Großmutter Antonia. Einige der Listen und Notizen, die sie damals anfertigten, habe ich inzwischen wieder gefunden. Es wäre interessant zu erfahren, was ein Tropenmediziner heute davon halten würde.
    Mein Vater wischte sich erneut den Schweiß von der Stirn und steckte das Taschentuch anschließend in den Baumwollgurt seines Indianerlatzes. Nur seine Turnschuhe unterschieden ihn in diesem Aufzug von den Aparai. Markenturnschuhe, die er, wie er meinte, spaßeshalber auf ihre Tropentauglichkeit testete. Seine wasserfeste Armbanduhr, auf die er aus alter Gewohnheit von Zeit zu Zeit sah, war auch noch so ein Überbleibsel aus dem Leben in Europa. Im Dunkeln leuchteten die Zahlen auf dem Zifferblatt glühwürmchenartig auf. Für die Mashipurianer immer wieder ein faszinierender Anblick. Eine solche Armbanduhr galt als Maß aller Dinge, auch wenn kein Mensch im Urwald sie zu lesen verstand und die Einteilung von Zeit ohnehin keine Rolle spielte.
    Ich freute mich riesig auf die bevorstehenden Veränderungen in Mashipurimo. Wenn meine Mutter nicht mehr so häufig unterwegs wäre, um Kranke zu besuchen, sondern die Menschen zu ihr in die Apotheke kämen, würde ich sie vielleicht öfter sehen. Dass die Urwaldapotheke ein Erfolg werden würde, glaubte inzwischen auch mein Vater. Denn die meisten Aparai brachten seiner Frau großes Vertrauen entgegen. Viele begegneten der »w eißen Mutter« beinahe so respektvoll wie einer Heilerin und konsultierten sie auch bei delikateren Fragen. Dass solche Gespräche unter vier Augen anstanden, merkte ich schon daran, dass ich auf »d ringende« Botengänge geschickt wurde. »G eh und bring Araiba etwas Zucker für seinen Kaffee!«, sagte meine Mutter dann sehr bestimmt, Widerspruch zwecklos.
    Das ganze Dorf beteiligte sich daran, den Plan mit der Urwaldapotheke baldmöglichst in die Tat umzusetzen. Alle waren begeistert und versprachen Unterstützung. »M edizin aus Deutschland ist gut«, strahlte auch Häuptling Tuuwonno aus Bona, und sein Kollege Kulapalewa stimmte mit ein. »S o ein Medizinhaus ist gut für Mashipurimo.« Und meine Eltern würden fortan nicht mehr mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen werden, wenn ein verzweifelter Aparai vor ihren Hängematten auftauchte.
    »T am, großer Vater, ich kann nicht schlafen. Schon seit Wochen nicht, hast du Medizin für mich?« Mein Vater erzählte mir später, dass er nicht an eine Krankheit als Ursache für die Schlaflosigkeit geglaubt hatte. Diesen Mann, da war er sich ganz sicher, plagten andere Sorgen. Um Genaueres herauszubekommen, ging er mit ihm spazieren. Während der Mann sein Herz ausschüttete, mühte sich mein Vater, die Augen offen zu halten. Vermutlich hörte er irgendwann vor lauter Müdigkeit gar nicht mehr richtig zu, versuchte aber, sich das nicht anmerken zu lassen. Wir kannten das in der Familie – er nickte dann und gab hin und wieder ein verständnisvolles »H mm, Hmm« von sich. Ich hatte schon öfter beobachtet, wie er das bei meiner Mutter machte.
    »D u hast also nichts dagegen, wenn ich mich mit allem aus dem Staub mache und dich hier alleine im Urwald zurücklasse?«
    Mein Vater

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