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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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schien mich überhaupt nicht zu bemerken. Als er kurz aufschaute und mich vor der Hütte entdeckte, nickte er mir mit einem kurzen Lächeln zu, um gleich darauf wieder in seiner Arbeit zu versinken. Klack, klack, klack, klack, ping. Danach ging es wieder von vorne los. Klack, klack, klack, klack, ping. Die Typenhebel, die mich an Spinnenbeine erinnerten, schlugen die Buchstaben präzise aufs Papier. Wenn ich heute auf der Tastatur meines Computers herumtippe, dann frage ich mich, wie ein vernünftiger Text ohne Lösch- und Kopiertasten überhaupt entstehen konnte.
    »H ier steckst du also!«
    Die Stimme meiner Mutter ließ mich zusammenzucken. Sie hatte mich schon überall gesucht und tadelte mich, ob ich überhaupt eine Ahnung hätte, wie spät es sei. Wenig schuldbewusst grinste ich sie an. Im Urwald war es einfach nicht wichtig, pünktlich zu sein. Und Eile an sich war etwas, das ich bislang kaum kannte. Mama erklärte, dass uns heute ein paar Männer aus dem Dorf nach Aldeia Bona fahren würden. Dass man die nicht warten lassen durfte, sah selbst ich ein.
    Meine Mutter hatte ihre schönen kastanienbraunen Haare zu einem strengen Knoten hochgesteckt. Eine Frisur, über die sich die Aparai anfangs sehr amüsierten. Mit der Zeit gewöhnten sie sich an die ungewöhnliche Haartracht, waren sich aber nach wie vor einig, dass meine Mutter damit schipölo nümmele, also »n icht gerade schön« aussah. Wenn sie ihre Haare offen und wie sonst üblich nur ein Bikinioberteil und ihr rotes Hüfttuch trug, konnte man sie beinahe für eine Indianerin halten. Heute hingegen hatte sie leichte Sommershorts und eine selbstgenähte weiße Bluse mit zartroten geometrischen Linien übergezogen. Das Muster erinnerte mich ein wenig an die traditionellen Muster, mit denen die Aparai ihre Haut bemalen. Mama hatte gleich einen ganzen Ballen des Stoffes mit in den Urwald gebracht, aus dem sie jene Bluse und auch noch ein Hängekleid für mich genäht hatte. Das sollte ich heute tragen. Meine Mutter besaß die Gabe, selbst dem unscheinbarsten Stoffrest ein schönes Kleidungsstück abzuringen. Ich liebte den Geruch, der von dem frischen Baumwollstoff ausging, und das Rattern der alten Nähmaschine, die sich mithilfe eines Fußpedals betreiben ließ. Für Tanshi hatte sie einmal aus einem Stoffrest, kaum größer als eine Postkarte, einen Lendenschurz genäht. Ich war mächtig stolz, als ich ihn meiner kleinen Patenschwester das erste Mal anlegte.

    Meine Mutter beim Morgenkaffee
     
    Während wir durch das Dorf zum Fluss liefen, brach allmählich die Sonne durch die Baumkronen. In der Ferne erklang das Gebell streunender Hunde, um die Feuerstellen vor den Hütten scharten sich die ersten Aparai. Ich schlenderte ein paar Schritte hinter meiner Mutter her. Großmutter Pulupulu riss mich aus meinen Gedanken: »O lymo pitiko! Hey, kleines Mädchen!« Freundlich, aber bestimmt winkte sie mich herbei. Ich schlug einen kleinen Haken zu ihrer Hütte, was meine Mutter nicht einmal bemerkte. Pulupulu gab mir ein Stück frisches Maniokbrot in die Hand und stopfte den Rest in meinen Henkelkorb.
    Dankbar über ein bisschen Aparai-Essen strahlte ich Pulupulu an. Bevor ich sehen konnte, um was es sich handelte, drückte sie mir einen glatt geschliffenen Gegenstand in meine andere Hand und schloss meine Finger darum. Was immer es war – es hatte eine scharfe Spitze, die mich schmerzhaft in den Handballen piekste. Als ich meine Faust öffnete, lag ein großer, elfenbeinfarbener Jaguarzahn auf meiner Handfläche. Ein Schutzamulett gegen böse Geister. Dieser Zahn war noch beeindruckender als der, den ich von Sylvia bekommen hatte. Vermutlich ein Eckzahn. Ich bedankte mich mit einem strahlenden Lächeln: Womit hatte ich den nur verdient? Ich war mir zwar nicht sicher, weshalb ich einen Talisman benötigte, aber ich versprach Pulupulu, ihn in Ehren zu halten. Dann rannte ich, so schnell ich konnte, hinter meiner Mutter her zum Ufer. Mit zwei Schutzamuletten in meiner Sammlung konnte wirklich nichts mehr schiefgehen.
    Angriff auf das Kanu
     
    Am Ufer warteten bereits unsere Begleiter auf uns. Zum Zeitvertreib kauten sie Tabak, den sie in regelmäßigen Abständen in hohem Bogen auf den Boden spuckten. Ich freute mich riesig, Jackä zu sehen, denn er war immer für einen Spaß zu haben. Alle paar Monate kam er zu uns nach Mashipurimo; er war ein gern gesehener Dauergast. Im Gegenzug besuchten wir ihn und seine Familie hin und wieder in seinem Dorf oberhalb

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