Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern
Mashipurimos.
Die Tirio waren den Aparai in vielerlei Hinsicht ähnlich, auch wenn sie inzwischen allesamt an den Herrn Jesus glaubten und nicht an Naturgeister wie wir Aparai; sie hatten sich schon vor langer Zeit taufen lassen. An ihrer Lebensweise hatte das jedoch wenig geändert. Außer dass sie der Mehrehe abgeschworen hatten. »O ffiziell zumindest«, pflegte Papa zu sagen, was nichts anderes bedeutete, als dass in Wirklichkeit alles beim Alten geblieben war.
Lachend lupfte Jackä seine Baseballkappe an, um sie mir anschließend mit einem Patsch auf den Kopf zu setzen. Die Mütze rutschte mir fast bis zur Nasenspitze, ich konnte gerade noch darunter hervorlugen.
»K atarischi pitiko«, rief er mir zu, und dann folgte sein unnachahmliches Lachen.
»I ch bin kein kleines Cathrinchen«, muffelte ich zurück, aber Jackä setzte gleich noch eins drauf: »O lymo pitiko pitiko nümölo«, was so viel hieß wie: ein ziemlich kleines Mini-Mädchen, eine »z u kurz Geratene«.
Mein eingeschnappter Gesichtsausdruck brachte ihn nur noch mehr zum Lachen, und ich ging im Geiste die übelsten Schimpfwörter durch, mit denen ich ihm antworten konnte. Kaikushi molele, stinkender Hund, erschien mir am passendsten. Tatsächlich mochte ich den Geruch von Kautabak nicht leiden. Mir wurde ein bisschen übel davon. Aber Jackä nahm das nicht krumm.
Inaina strich mir kurz über die Haare, dann begrüßte er meine Mutter mit einem breiten Lächeln. Vermutlich amüsierte er sich über unsere ungewohnte Aufmachung.
Chico borgt sich unser Kanu
Bevor wir aufbrachen, fegte Inaina das Boot mit einem Besen aus Palmwedeln aus. Das Wasser, das noch im Rumpf stand, wurde mit einer kleinen Kalebasse abgeschöpft, den Rest würde die Sonne trocknen. Er legte noch ein paar Holzstangen quer in den Bootsrumpf, auf denen wir unser Gepäck etwas erhöht ablegen konnten. Falls während der Fahrt Wasser ins Boot schwappte, würde unser Proviant dennoch trocken bleiben. Eine einfache, aber wirkungsvolle Erfindung, die für die Aparai-Wajana typisch war.
Während meine Mutter ihre Handtasche und ein paar Körbe mit Proviant verstaute, schwatzte sie mit den Männern über den aktuellen Wasserstand im Fluss und über die Zeit, die wir für die Fahrt nach Aldeia Bona brauchen würden. Hauptsache, es würde schneller gehen als sonst.
Dass die Männer uns begleiteten, war gut, schließlich war es eine Kunst, den Felsen und Sandbänken im Fluss beizeiten auszuweichen, bevor man auf Grund lief oder sich ein unnötiges Leck in den Bootsrumpf riss. Beide waren erfahrene und geschickte Bootsfahrer und kannten die Tücken der Flussläufe im Amazonasgebiet. Meine Mutter war erleichtert, den weiten Weg nicht allein mit einem kleinen Kind antreten zu müssen.
Jackä hatte spontan seine Dienste angeboten, weil die Fahrt nach Aldeia Bona ein bisschen Abwechslung versprach. Inaina wollte wegen Tauschgeschäften mitkommen. Ein wenig Nachschub an Munition für die Jagd vielleicht, ein paar Angelhaken, die aufgrund ihrer Beschaffenheit langlebiger waren als die selbst gebastelten Haken aus Vogelknochen oder über dem Feuer gehärteten Dornen. Außerdem traf man in der Stadt immer auch schöne Mädchen. Als Jackä ihn damit aufzog, lief Inaina derart rot an, als wäre sein Gesicht frisch mit Ononto bemalt.
Sanft stieß Inaina das Boot mit seinem Fuß vom Ufer ab. Ein letztes Knirschen im Sand, dann lag unser Gefährt im Wasser. Während Jackä hinten am Motor saß, nahm meine Mutter mit ihren langen Beinen hinter dem Bootsführer Inaina Platz. Seit seiner Marter war er deutlich gereift. Er hatte ein ebenmäßiges Gesicht mit großen Mandelaugen, dichtes, glänzendes Haar und einen durchtrainierten, makellosen Körper. Die Wunden, die der Initiationsritus auf seinem Rücken hinterlassen hatte, waren längst verheilt. Ich war mir sicher, dass Inaina uns vor sämtlichen Stromschnellen und Riesenschlangen im Rio Paru beschützen würde.
Während wir uns langsam vom Ufer entfernten, setzte sich Mama eine übergroße Sonnenbrille auf die Nase. Ihre Augen verschwanden samt Brauen hinter einem undefinierbaren Schwarz, welches das gleißende Licht der Tropensonne ein wenig erträglicher machen sollte. Mich erinnerte sie mit diesem Riesending im Gesicht immer ein wenig an eine Fliege. Ehe ich mich darüber lustig machen konnte, zog sie mir die Baseballkappe vom Kopf und stülpte mir einen Strohhut aufs Haar, der nach ein paar Minuten bereits auf der Kopfhaut zu jucken
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