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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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aber noch bewirten, oder?«, bemerkte ich naseweis.
    »D as versteht sich von selbst«, antwortete Antonia, irritiert, dass ich es wagte, sie zu belehren. »D em Zauberer werden natürlich die besten Speisen und Getränke gereicht, die man zu bieten hat. Sogar in Zeiten des Hungers und auch dann, wenn man danach selber nichts mehr zu essen hat.« Ich überlegte mir, dass es praktisch sein musste, ein Zauberer zu sein, weil man dann immer und überall etwas zu essen bekam und niemals hungern musste. Das Jagen erübrigte sich damit.
    Eines Tages kam tatsächlich ein Zauberer in unser Dorf. Nur, dass ich von seiner Ankunft nicht viel mitbekam, weil die Kinder gar nicht ins Rundhaus durften, während die Erwachsenen dort saßen, Unterhaltungen nach dem Zeremoniell führten und dabei rauchten. Wir konnten nur von Weitem die Rücken von einigen Männern ausmachen, nicht aber den berühmten Gast selbst.
    Auch als der Zauberer ins Toponokari geführt wurde, durften wir nicht dabei sein. Wir mussten so lange vor Kois Hütte warten, bis wir hinzugerufen wurden. Und von der Sitzung bekam ich höchstens die Hälfte mit, weil der Zauberer breites Wajana sprach, aber kaum ein verständliches Wort Aparai. Das Einzige, was ich aufschnappte, war, dass die Dorfbewohner einzelne Bitten in knappen Worten an den Zauberer richteten, auf die er lang und salbungsvoll antwortete. Aus dem Palmblätterverschlag stiegen kleine Rauchkringel auf. Der Zauberer paffte einen ganz ordentlichen Tabak. Guten Mashipurimo-Tabak, wie ich später von Araiba erfuhr. Die Palmblätter raschelten leise im Windhauch, Koi und ich kicherten und schubsten uns vor lauter Langeweile gegenseitig, bis wir von einer andächtig lauschenden Frau mit kahl geschorenem Kopf mahnende Blicke einfingen. Die Witwe wollte vermutlich mit ihrem verstorbenen Mann sprechen, doch sie kam erst gar nicht dazu. Denn der Zauberer verkündete, dass er nun erschöpft sei und Hunger verspüre – nach so einer anstrengenden Sitzung. Enttäuscht von der langweiligen Darbietung, um die so viel Aufhebens gemacht worden war, stürmten Koi, ich und die anderen Kinder davon. So hatten wir uns das nicht vorgestellt.
    Später, als wir an der Feuerstelle Kulapalewas vorbeiliefen, sahen wir den Zauberer umringt von lauter ehrfürchtigen Gästen. Kois Mundwinkel klappten nach unten. Sie zischte mir zu, dass der ja nicht mal einen schönen Lianenmantel trage, geschweige denn einen Federhut mit Kopfschmuck. Der Zauberer sah aus wie ein ganz normaler Mann. Statt langer Haare zierte eine tonsurartige Glatze die Mitte seines Schädels, und an seinem wohlgenährten Bauch ließ sich ablesen, dass der Zauberer einen ganz ordentlichen Appetit hatte. Pulupulu, die Erstfrau Kulapalewas, nickte uns freundlich zu, was so viel hieß wie: Ihr könnt dem Zauberer ruhig guten Tag sagen. Aber wir rannten weiter. Dieser seltene Gast war in unseren Augen nicht länger interessant. Er hatte so gar nichts mit den mächtigen Zauberern aus der alten Zeit gemein, von denen wir am Lagerfeuer gehört hatten.
    Einige Tage lang schwiegen wir uns über den Besuch des Zauberers aus. Unsere Zeremonien und Zauberformeln hatten ihren Reiz verloren. Enttäuscht schnippte ich ein paar Maniokschalen ins Feuer, vielleicht sagte ich auch so etwas wie: »P ah, Zauberer!« Jedenfalls gab Araiba, der mir gegenübersaß, nach ein paar Schweigeminuten mit einem Schulterzucken zu, dass die meisten Zauberer heutzutage nur noch Wert auf einen großen Auftritt legten. Viel Tamtam und wenig dahinter. Aber viel gutes Essen hinterher.
    »T rotzdem musst du einen Zauberer immer achten, denn schickt er dir einen bösen Geist, bekommst du Kopfschmerzen.«
    »Ich glaube nicht an Zauberer, die Kopfschmerzen machen können. Sie können ja nicht mal ihre eigenen Kopfschmerzen wegmachen. Deshalb kommen sie auch zu Mama und Papa und fragen heimlich nach Aspirin.«

Gefährliche Stromschnellen
     

Tückische Tropen
     
    Jener Tag, der als »T ag der Hornissen« in meine Erinnerung eingegangen ist, begann wie jeder andere. Wie jeden Morgen weckte uns das laute Kikeriki des Dorfgockels. Das penetrante Schrillen eines Weckers ist nichts dagegen. Und wie jeden Morgen tranken meine Eltern ihren stark gebrühten Kaffee mit viel Rohrzucker darin, während ich darauf wartete, zur Hütte von Großmutter Antonia rennen zu dürfen. Ausnahmsweise bestanden meine Eltern darauf, dass ich mit ihnen frühstückte. Meine Mutter hatte mir kurz nach dem Aufstehen eröffnet, dass

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