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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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wir einen Tagesausflug machen würden. Es ging um ein Treffen mit einem Arzt aus der Stadt, zu dem ich sie nach Aldeia Bona begleiten sollte, während Papa in Mashipurimo zurückbleiben würde, um in Ruhe zu arbeiten.
    Etwas lustlos kaute ich auf einem steinharten Biskuit-Cracker herum, den mir meine Eltern aus einer Aluminiumbüchse reichten. Unsere Notration für magere Tage, an denen es kein frisches Brot gab, das Mama allwöchentlich in ihrem Lehmofen buk. Das staubtrockene Backwerk bekam ich kaum hinunter, es schien geradezu im Hals stecken zu bleiben. Es wurde nicht einmal durchs Tunken weicher. Die »M ilch« in meiner Campingtasse bestand aus etwas Trockenmilchpulver, verrührt mit abgekochtem Flusswasser. Wenn man nicht schnell genug umrührte, bildeten sich kleine weiße Klümpchen, die wie Inseln auf der Oberfläche schwammen. Wenn man in sie hineinbiss, schmeckte das grässlich. Etwas unwillig verzog ich mein Gesicht zu einer Grimasse, woraufhin mich meine Eltern belehrten, die Milch sei gut für die Knochen, da sei Kalzium drin. Was auch immer Kalzium sein mochte, ich verabscheute das Milchpulver. Wie gerne hätte ich bei Antonia ein Stück Fisch oder Fleisch zum Frühstück gegessen. Unruhig rutschte ich auf unserer Küchenbank hin und her, doch es war nichts zu machen, keine Chance auf eine Stippvisite bei meiner Aparai-Familie. Ich sollte warten, bis meine Mutter ihre Siebensachen zusammengepackt hatte, dann würde es bald losgehen. Klare Ansage. Ich grübelte, was an unserem heutigen Ausflug wohl so wichtig war, dass ich vorher nicht noch mal kurz durch unser Dorf stromern durfte. Gebadet hatte ich auch noch nicht. Sicher wurde ich am Fluss schon von Koi und Sylvia vermisst.
    Meine Eltern unterhielten sich derweil über Medizinisches. Ihr Wissen erweiterten sie ständig im alltäglichen Umgang mit den Kranken. Und die Urwaldapotheke brachte sie ebenfalls ein gutes Stück weiter. Wenn es darum ging, den Menschen vor Ort zu helfen, tauschten sich meine Eltern am liebsten mit Ärzten aus der Stadt aus. Bei einem der letzten Besuche in Belém do Para hatte sich meine Mutter deshalb mit einem Mediziner der Funai, der brasilianischen Indianerschutzbehörde, zu einem Treffen in Bona verabredet. Heute war es so weit: Wenn nichts dazwischenkam, sollte in Aldeia Bona ein kleines Flugzeug mit jenem Arzt und einer Krankenschwester an Bord landen. Deshalb mussten wir beizeiten aus Mashipurimo aufbrechen.
    Es war das einzige Mal während unseres Aufenthalts in Brasilien, dass ein »e chter« Doktor aus der Stadt in den Urwald kam. Natürlich freute ich mich auf den hohen Besuch und war gespannt, ob er uns etwas mitbringen würde. Die eingeschweißten Plastikspritzen, die mein Vater für Notfälle aufbewahrte, waren die allertollsten Spritzpistolen. Ohne Nadel, versteht sich. Vielleicht hatte der Doktor ja welche dabei. Und mit ein bisschen Glück würde ich noch ein paar Pflaster für meine Freundinnen in Mashipurimo abstauben können.
    In Aldeia Bona wollten sich die Erwachsenen darüber austauschen, welche Krankheiten im Gebiet der Aparai-Wajana grassierten. Die Erfahrungen meiner Eltern waren für die Indianerschutzbehörde interessant, schließlich gab es nicht so viele Menschen im Urwald, die detailliert Auskunft darüber geben konnten, was zum Schutz der Indianer benötigt wurde. Umgekehrt waren meine Eltern für jeden medizinischen Rat und für jede kleine Lieferung aus der Zivilisation dankbar. Besonders wenn es um Nachschub für die Urwaldapotheke ging. Denn inzwischen hatte sich abgezeichnet, was für ein schwieriges Unterfangen die Führung der Apotheke war. Die Vorräte gingen viel schneller zur Neige als erwartet, und mit dem Nachschub haperte es.
    Nach dem Frühstück machten wir uns auf den Weg. Papa versprach, ein paar Stunden später nachzukommen. Aber nur, falls er bis dahin sein Arbeitspensum geschafft hatte. Als ich mich von ihm verabschieden wollte, war er gerade damit beschäftigt, Texte mit seiner Reiseschreibmaschine auf dünnes Papier zu hämmern. Jedes Blatt war mit einem weiteren Bogen versehen. Dazwischen klebte ein lila glänzendes Kohlepapier. Falls eine Aufzeichnung abhandenkam oder uns etwas passierte, war somit immer eine Kopie vorhanden.
    Ein Stapel an Forschungsberichten sollte dem Arzt in die Stadt mitgegeben werden, von dort aus wurde es in die alte Heimat geschickt. Ich stand eine Weile vor dem Eingang von Papas Bürohütte und beobachtete, wie konzentriert er arbeitete. Er

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