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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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anfing. Kein Aparai-Mädchen trug so einen dämlichen Hut. Im nächsten unbemerkten Moment musste ich ihn unbedingt unter meiner Sitzplanke verschwinden lassen. Jackä kicherte. Im Gegensatz zu mir war er stolz auf seine Kopfbedeckung. Ein Hut oder eine Baseballkappe war in seinen Augen ein echtes Statussymbol. Die Aparai nannten ihn einen »H albzivilisierten«, weil er manchmal sogar ein richtiges T-Shirt trug und fließend Niederländisch sprach. Er war einer der ersten Indianer, den ich bis dahin mit so einem Oberteil gesehen hatte. Es wurde gehegt und gepflegt, bis es in seine Einzelteile zerfiel und sein Träger wieder zum Adamskostüm überging. Im Gegensatz zu den anderen Tirio trug Jackä auch nicht mehr die traditionelle Frisur des Stammes, dazu hatte er zu wenig Haare. Während sein Haar ganz kurz geschnitten war, hatten die meisten Tirio einen dicken, geraden Pony, der sich sanft über der Stirn wellte und bis über die Ohren reichte, ähnlich der Frisur der Yanomami, nur, dass die Tirio ihr Haar im Nacken lang trugen. Eine Art Vokuhila-Frisur, die ich als Kind grenzenlos bewunderte und mir sehnlichst auch für mich gewünscht hätte. Leider konnten meine Eltern meinem Faible für diese Haartracht nichts abgewinnen.
    Fast lautlos glitt unser langes Einbaumkanu dahin. Die Männer wollten so lange rudern, bis das Boot in der tiefen Flussmitte lag, sicher vor den Felsbrocken und Baumstümpfen, die das Navigieren in Ufernähe erschwerten. Erst dann wollten sie den Außenbordmotor anwerfen. Der Motor, der etwas verloren am Heck unseres Einbaums hing, war Jackäs wertvollster Besitz. Er konnte ihn komplett zerlegen und anschließend wieder vollständig zusammenbauen, ohne dass auch nur eine einzige Schraube übrig blieb. Er wurde nicht müde, uns seine Fähigkeiten darzulegen. »I ch habe euch sicher noch nicht erzählt, wie schnell sich ein Außenbordmotor wieder zusammensetzen lässt«, pflegte er bei fast jedem seiner Besuche zu erwähnen, worauf die Anwesenden meist mit Augenrollen reagierten. Zu dumm nur, dass dem lieben Jackä fast immer das Benzin für seinen Außenbordmotor fehlte. Und so hing der Motor meist unnütz am Boot herum, notdürftig mit einem ölverschmierten Tuch oder einer Plane abgedeckt.

    Anakonda beim Sonnenbad
     
    Die Wasseroberfläche schien wie glatt geleckt. Ein paar Mücken tanzten ihr Wasserballett, es sah beinahe so aus, als könnten sie mit ihren dünnen Insektenbeinen auf dem Fluss laufen. Die üppige Ufervegetation verdichtete sich mit jedem Meter, den wir uns von unserer Bucht entfernten, zu einem Labyrinth aus Luftwurzeln und Lianen. In solches Gestrüpp zogen sich Schlangen gerne zu ihrem Mittagsschlaf zurück. Mit etwas Glück konnte man das abgelegte Schuppenkleid einer Schlange in einer Astgabel entdecken. Eine Kostbarkeit, die der Finder anschließend stolz im Dorf herumzeigte.
    Jackä und Inaina tauchten ihre Stechpaddel mit der Gleichförmigkeit eines Uhrwerks ins Wasser. In Gedanken paddelte ich mit. Der Rhythmus des Plätscherns versetzte mich für gewöhnlich in einen leichten Dämmerschlaf. Diesmal hielt ich die Augen offen, denn unser Einbaumkanu lag tief und etwas windschief im Wasser. Es war mit allerlei Gütern beladen, und der schwere Außenbordmotor tat ein Übriges. Ich überlegte mir, was wohl passieren würde, wenn das Boot kenterte. Schon einmal hatte ich eine solche Katastrophe erlebt – Papa und Inaina waren dabei über Bord gegangen. Ich hatte mich gerade noch festkrallen können und versucht, das volllaufende Boot mit einer Kalebasse auszuschöpfen. Ich mochte gar nicht an die riesigen Wasserschlangen denken. Manche von ihnen konnten mühelos ein kleines Pakira-Wildschwein verschlingen, das sie anschließend wochenlang an einem verborgenen Ort verdauten. Andere wickelten sich mit Vorliebe um einen Bootsrumpf, weil sie ihn für einen Tapir hielten. Aber heute war von den Wasserungeheuern nichts zu sehen, alles schien ruhig und friedlich. Das Hundegebell aus dem Dorf hatten wir längst hinter uns gelassen, und auch sonst war kaum ein Laut zu vernehmen. Es schien, als hätte der Urwald sämtliche Geräusche verschluckt. Hin und wieder sprang ein Fisch aus dem Wasser, um nach einer Fliege zu schnappen, ansonsten rührte sich nichts. Angestrengt und etwas schläfrig versuchte ich, irgendetwas im Dickicht des Ufers zu entdecken, was die eintönige Bootsfahrt ein wenig abwechslungsreicher machen würde. Ein paar Frösche vielleicht, schillernde

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