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Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern

Titel: Das Mädchen vom Amazonas: Meine Kindheit bei den Aparai-Wajana-Indianern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherina Rust
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besuchen. Diesmal fuhren wir mit mehreren Booten im Konvoi. An die eigentliche Reise habe ich kaum noch Erinnerungen, es war eine Bootsfahrt wie jede andere. Unterbrochen von kleineren und größeren Stromschnellen und von Pausen auf Sandbänken, wo wir mit Stöcken nach wohlschmeckenden Schildkröteneiern gruben. In Form und Farbe sind Schildkröteneier vergleichbar mit Hühnereiern, nur ein wenig kleiner. Doch diesmal fanden wir kein einziges Schildkröten- geschweige denn Leguanei, und so setzten wir die Fahrt mit hungrigen Mägen fort. Umso schöner war es, als wir am späten Nachmittag des zweiten Tages in der Ferne eine Bucht ausmachen konnten. Dahinter glänzten Palmblattdächer silbrig in der Sonne. Das musste ein Aparai-Dorf sein. Sicher würden wir gleich feierlich begrüßt und zum Essen eingeladen werden, so wie es sich für weit gereiste Gäste gehörte. Doch selbst als wir näher kamen, zeigte sich kein Mensch am Ufer. Nicht ein einziges Boot lag in der Bucht. Waren alle ausgeflogen? Hatten sich die Menschen aus Angst vor uns versteckt? Sosehr wir unsere Hälse reckten, nirgendwo war Leben zu entdecken. Noch nicht einmal ein Hund streunte umher.
    Langsam näherten sich unsere Boote dem Ufer. Die Männer glitten ins Wasser und zogen Einbaum für Einbaum an Land. Stumm wie die Fische, die Ohren wie Luchse gespitzt.
    Vorsichtig erklommen wir den sandigen Uferweg ins Dorf. Abgestorbene Bäume ragten wie knochige Hände mit mahnend erhobenen Fingern aus der Erde. Als wir näher kamen, entdeckten wir, dass in manchen Hüttendächern Löcher klafften. Bei anderen lag die Dachkonstruktion rippenartig frei. Eine unheimliche Stille umfing uns. Wir passierten verlassene Schlaf- und Arbeitshütten, in denen sogar noch die Reibetische für den Maniok standen, als wären die Bewohner überstürzt aufgebrochen.

    Aufbruch zu einer Flussfahrt
     
    Erst auf den zweiten Blick fiel auf, dass in den Hütten keine Hängematten hingen, keine Körbe unter den Deckenbalken, keine Kessel und Schalen auf dem Boden standen. Das war keine eilig verlassene Heimstätte, das sprach eher für einen wohlgeordneten Aufbruch ohne Wiederkehr.
    Während wir über den verwaisten Dorfplatz liefen, hielt ich mich so dicht hinter Araiba, dass ich ihm immer wieder in die Fersen trat. Er blieb kurz stehen und tätschelte meinen Arm. Nur keine Angst, alles ist sicher, tief durchatmen.
    Die Stützpfähle der Hütten waren noch fest im Boden verankert, der Urwald hatte sich das Stück Land noch nicht zurückerobert. Die Böden der Hütten waren sauber gefegt, hier und dort zeugten verlassene Feuerstellen mit schwarz verkohlten Holzresten davon, dass hier vor nicht allzu langer Zeit Menschen zusammengehockt, gegessen, palavert und gefeiert hatten. Selbst ein kleines Feuergestell stand noch da. Das konnte man möglicherweise gebrauchen. Doch niemand sonst würdigte das Gestell eines Blickes. Etwas mitzunehmen, was anderen gehört hatte, ziemte sich nicht. Nur bei aufgelassenen Plantagen machten die Aparai eine Ausnahme. Sie durften von allen genutzt werden, die vorbeikamen und Hunger hatten. Jeder durfte ernten, was er benötigte, um satt zu werden. Allerdings nicht mehr.
    Irgendwie war mir in diesem verlassenen Dorf nicht wohl zumute. Araiba schien ähnlich zu empfinden, jedenfalls murmelte er unentwegt Schutzformeln gegen böse Geister, während er vor mir herlief. »G eister der Ahnen, wir sind in guter Absicht gekommen, nicht um etwas zu nehmen, was uns nicht gehört. Geist des verstorbenen und hier begrabenen Häuptlings, wir machen nur eine kleine Rast, dann ziehen wir wieder fort und lassen euch und euer Dorf in Frieden zurück …« Trotzdem konnte ich das Gefühl, dass uns jemand beobachtete, nicht abschütteln.

    Verlassenes Geisterdorf
     
    Schließlich erreichten wir das Rundhaus. Es sah beinahe so aus wie unser Polootoppo und hatte sogar einen prächtigen Rundschild unter der Decke. Doch als ich das Haus betreten wollte, um es mir genauer anzuschauen, hielten mich die Männer zurück. Erschrocken blieb ich stehen. Während sich ein Teil unserer Gruppe aufmachte, um Bananen, Guaven, Passionsfrüchte und andere Früchte von den aufgegebenen Pflanzungen zu ernten, weihten mich die Männer in das Geheimnis dieses Ortes ein: Immer wenn ein Häuptling verstarb, wurden seine Überreste im Rundhaus begraben. Danach wurde das Dorf aus Respekt vor dem verstorbenen Häuptling aufgegeben. Die Angehörigen zogen weiter, aus Angst, der ruhelose Geist

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