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Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Das Mädchen von San Marco (German Edition)

Titel: Das Mädchen von San Marco (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katie Hickman
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Zärtlich steckte sie eine Ecke der Windel fest, die sich gelöst hatte. Dann strich sie vorsichtig mit ihrem ungeübten Finger über den winzigen Kopf, auf dem feine, flaumige Haare wuchsen. Das Kind drehte den Kopf, suchte nach der Brust der Mutter, aber es weinte nicht, sondern stieß nur schwach den Atem aus. Maryam zerriss es das Herz bei diesem Anblick.
    »Schau nur, agapi mou, schau nur, wir sind fast da. Wir werden einen Arzt finden, der uns hilft … Einer der Matrosen kennt einen Ort …«
    Mit aller Macht schob Maryam Elenas Worte von sich fort, doch sie drängten sich trotzdem immer wieder in ihre Gedanken. Es hat keinen Sinn, Maryam, du musst darauf gefasst sein, hatte die Freundin traurig gesagt. Das Kind ist inzwischen zu schwach zum Saugen. Du darfst der Mutter nicht die Schuld geben, es ist schrecklich, wenn man weiß, dass das eigene Kind sterben muss, selbst eines … selbst eines wie dieses. Es ist Gottes Wille, Maryam. Elena hatte tröstend die Hand auf Maryams Arm gelegt. Aber es wird andere Kinder geben.
    Aber nicht für mich!, wollte Maryam schreien. Es gibt keinen Gott für solche wie mich! Und ich werde keine anderen Kinder haben!
    Hatte sie diese schrecklichen, gotteslästerlichen Worte etwa laut ausgesprochen? Vielleicht, aber sie merkte, dass es sie nicht mehr kümmerte. Sollten sie doch über sie lachen, so viel sie wollten. Sie kannte den Ekel auf ihren Gesichtern, wenn sie die Windel abnahm, um den Säugling zu säubern, sie spürte ihr Entsetzen angesichts der Missbildung. Maryam sah das alles nicht. Sie bewunderte nur die makellosen kleinen Füßchen, die perfekten kleinen Zehen, die Fußnägel, die wie Perlmutttröpfchen glänzten.
    Doch während die in Dunst gehüllte Stadt immer näher rückte, fühlten sich ihre Arme schon leer an. »Fast schon da, mein süßer Kleiner, wir finden Hilfe, du wirst sehen … Ich gebe nicht auf, ich gebe doch nie auf …«
    Maryam hielt ihm den Finger hin und fühlte, wie sich die kleine Faust leichter als eine Wolke darum schloss. Es war eine Empfindung, die sie bis ins Innerste rührte. Sie ertrug kaum den Schmerz von so viel Liebe.
    Als sie den Ruf eines Matrosen hörte, blickte sie auf. Er deutete auf den Horizont. Zuerst erkannte sie nichts. In der Ferne erhoben sich große, schneebedeckte Berge wie Wächter. Vor ihr lagen Nebelschwaden über dem Wasser. Die glasige Lagune war von derselben Farbe wie der Himmel. Wieder rief der Mann etwas. Ein Schwarm Vögel flatterte über den Bug des Schiffes, strich dicht über das Wasser und schoss dann wieder in die Höhe. Ihre verlorenen Schreie zerrissen die Stille.
    Und dann sah sie es. Der Nebel teilte sich, und vor ihnen lag endlich die märchenhafte Stadt. Sie leuchtete rosig und golden in der Morgendämmerung, und es kam Maryam vor, als müsse sie von Engeln statt von Menschen bewohnt sein.
    Als sie sich liebevoll dem Kind zuwandte, war dessen Brustkorb ganz ruhig. Seine Augen waren geöffnet, aber glasig und starr. Alle vier Matrosen mussten Maryam festhalten, damit Elena ihr das tote Kind aus den Armen nehmen konnte.
    Immer mehr Menschen strömten in den campo, und Maryam fühlte sich sterbensmüde.
    Dabei hatte sie sich für so schlau gehalten, als sie Bocelli dazu gebracht hatte, ihr für die Meerjungfrau und ihr Kind zwei Pferde zu geben. In Wirklichkeit war es genau umgekehrt gewesen: Er hatte sie nach Strich und Faden betrogen. Und sie hatte es ihm so leicht gemacht! Das Segelboot, das gerade zur rechten Zeit eintraf, die Matrosen, die so bereitwillig die Frauen auf den weiten Weg nach Venedig mitgenommen hatten, all das hätte sie stutzig machen müssen. Die Seeleute hatten sogar gewusst, dass man das Kind zum Ospedale degli Incurabili bringen konnte. Es war alles furchtbar offensichtlich. Sie war die ganze Zeit nur eine Marionette gewesen, die nach der Melodie eines anderen tanzte.
    Als Carew nun auf sie zueilte, wurde alte Erinnerungen wieder lebendig, und sie sah nicht ihn, sondern die Gesichter all jener Männer, die sie vor so vielen Jahren missbraucht, gequält und verspottet hatten.
    Maryam rannte los. Mit dem winzigen Sarg in den Armen drängte sie sich blindlings durch die Menge. Männer und Frauen stoben auseinander, manche stürzten zu Boden. Maryam bemerkte es nicht, in ihrer Welt war es totenstill geworden. Ihr Herz hämmerte, während sie zur Rückseite der Kirche lief und versuchte, die Gasse wiederzufinden, die zum Ospedale zurückführte, aber sie bog in die falsche

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