Das Mädchen von San Marco (German Edition)
wollte …«, flüsterte Eufemia entsetzt.
»Mit ihr Unzucht treiben«, ergänzte Annetta knapp. »Ja, so ist es. Ein hübscher, frischer culo für einen fetten alten Mann, habe ich damals immer gesagt«, fügte sie bissig hinzu. »Was das angeht, war der Harem wie ein Bordell mit nur einem Kunden. Wie auch immer, eines Tages wurde Celia ausgewählt.«
»Und dann?«
»Na, ich brauche dir wohl nicht zu sagen, dass sie nicht so recht mit dem Herzen dabei war«, sagte Annetta trocken. »Ein ganzes Monatsgehalt habe ich ihr gegeben, damit sie eine der alten Haremsdamen bestechen konnte – die sollte sie wenigstens möglichst gut darauf vorbereiten. Aber war sie dankbar? Oh, nein. Sie war die ganze Zeit so verkrampft, als würde ihr allein der Gedanke an den Sultan Schmerzen bereiten. ›Kannst du nicht für mich gehen?‹, hat sie immer wieder gefragt. ›Kannst du nicht an meiner Stelle gehen?‹«
Eufemia starrte Annetta fasziniert an.
»›Bist du verrückt?‹, habe ich zu ihr gesagt.« Annetta erwärmte sich langsam für ihre Geschichte. »›Weißt du nicht, was das bedeutet? Hast du nicht gesehen, wie alle dich anschauen, jetzt, wo du gözde bist? Wir haben diese eine Chance, und die bist du, carissima. Also machst du jetzt weiter – und mach es vor allem richtig.‹«
»Und hat der Sultan sie … gemocht?«
»Ja, aber nicht genug. Er hat sie zwei Mal kommen lassen, aber beide Male wurde sie … ausmanövriert.« Annetta sprach langsamer, als wisse sie nicht recht, wie sie fortfahren sollte.
»Und?« Eufemia stupste sie in die Seite.
»Dann geschah etwas, das all unseren Hoffnungen für immer ein Ende setzte.«
»Was denn?«
»Celia fand heraus, dass dieser Mann, ihr Kaufmann, in Konstantinopel war. Sie wusste, dass er einige Jahre zuvor mit einer englischen Gesandtschaft dorthin gereist war, kurz bevor sie mit ihrem Vater zu der verhängnisvollen Reise aufbrach. Aber sie hatte bis dahin nicht gewusst, dass die Geschäfte der Gesandtschaft sich verzögerten. Ihr Kaufmann war nicht nach England zurückgekehrt, wie sie geglaubt hatte, sondern hielt sich immer noch in der Stadt auf. Und als wenn das nicht schon außergewöhnlich genug gewesen wäre, hatte er tatsächlich irgendwie erfahren, dass sie noch am Leben war. Santissima Madonna! Er wusste nicht nur, dass sie bei dem Schiffbruch nicht ertrunken war, sondern auch, dass sie im Palast des Padischahs lebte, praktisch direkt vor seiner Nase. Ja, er muss jeden Tag die Dächer und Baumkronen gesehen haben, die den Palast abschirmten, denn er lebte in dem Stadtviertel auf der anderen Seite des Bosporus, in dem die fremden Kaufleute ihre Villen haben.«
»Aber wie in aller Welt hat sie das herausgefunden?«, unterbrach Eufemia Annetta ungeduldig. »Hat er ihr eine Nachricht geschickt?«
»Eine Nachricht! Das wäre doch reiner Wahnsinn gewesen – von einem Mann und noch dazu einem Christen an eine der Frauen des Padischahs! Nein, dafür war er zu schlau. Er wusste, dass jede Nachricht, ob schriftlich oder mündlich, abgefangen werden konnte. Also schickte er ihr einen Gegenstand, von dem nur sie allein wissen konnte, dass er von ihm stammte.«
»Und was war das?«
»Ein merkwürdiges Instrument, das er immer bei sich trug – ein Kompendium hat sie es, glaube ich, genannt. Es hatte unten ein Geheimfach, das sie kannte, in dem er ihr Bild aufbewahrte.« Annetta schüttelte traurig den Kopf. »Es lag immer noch in dem Geheimfach. Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen.«
»Poverina!« , seufzte Eufemia. »Die arme Frau!«
»Arme Celia.« Annetta nickte. »So viel zu meinen Warnungen. Danach fand sie natürlich keine Ruhe mehr. Der Gedanke an ihren Verlobten lastete so schwer auf ihr, dass ich Angst um sie bekam und befürchtete, sie würde noch an ihrem gebrochenen Herzen sterben. Und dann beging sie den schlimmsten Fehler ihres Lebens. Sie zeigte das Kompendium einer anderen Person. Ausgerechnet der Valide musste sie es zeigen. Mein Gott! Ich glaube, sie hat ihr tatsächlich die ganze Geschichte anvertraut.« Annetta hob die geballten Fäuste. »Glaub mir, das war das Dümmste, was sie tun konnte.«
»War es wirklich so schlimm? Was konnte diese Dame ihr denn antun?«
»Was die Valide ihr antun konnte?« Annetta starrte Eufemia aus weit aufgerissenen Augen an. »Du hast wohl gar nichts begriffen! Am Abend jenes Tages trafen Celia und ich uns rein zufällig im Hof der Valide. Alle anderen waren schon herbeigeeilt, um das großartige
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