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Das Mädchen.

Das Mädchen.

Titel: Das Mädchen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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zwischen ihrer Brust und ihrem Bauch herumzuschwimmen begonnen hatte, beinahe wieder wohl fühlte. Daß sie etwas gegessen hatte, mochte dazu beigetragen haben, aber sie vermutete, das Radio hatte mehr damit zu tun gehabt. Stimmen, richtige Menschenstimmen, die noch dazu so nah klangen.
    Auf ihren Oberschenkeln saßen Scharen von Mükken, die durch den Stoff ihrer Jeans zu stechen versuchten. Gott sei Dank trug sie keine Shorts. Mit denen wäre sie längst Hackfleisch gewesen.
    Sie klatschte die Stechmücken weg, dann stand sie auf. Was nun? Wußte sie irgend etwas darüber, wie man sich verhielt, wenn man sich im Wald verlaufen hatte? Nun, daß die Sonne im Osten aufging und im Westen unterging; das war ungefähr alles. Irgendwo hatte sie einmal gehört, Moos wachse auf der Nord- oder Südseite von Bäumen, aber sie wußte nicht mehr, welche von beiden es gewesen war. Vielleicht war es am besten, einfach hierzubleiben, zu versuchen, sich eine Art Unterschlupf zu bauen (mehr als Schutz vor Insekten als vor dem Regen, denn jetzt waren schon wieder Mücken unter die Kapuze ihres Ponchos geraten und machten sie verrückt) und einfach zu warten, bis jemand kam. Hätte sie Zündhölzer gehabt, hätte sie vielleicht Feuer machen können - bei Regen bestand keine Waldbrandgefahr -, und irgend jemand hätte den Rauch sehen können. Klar, wenn Schweine Flügel hätten, könnten Schinken fliegen. Das sagte ihr Vater. »Augenblick«,sagte sie. »Augenblick!«
    Irgendwas mit Wasser. Wie man mit Hilfe von Wasser aus einem Wald herausfand. Aber wie ... ? Dann fiel es ihr ein, und sie fühlte einen weiteren Schub freudiger Erregung. Er war so stark, daß ihr fast schwindlig wurde; sie schwankte im Stehen tatsächlich leicht hin und her, als würde sie sich zu Musik bewegen. Man suchte sich einen Bach. Das hatte sie nicht von ihrer Mutter gehört, sondern vor langer Zeit in einem der »Unsere kleine Farm«-Bücher gelesen, vielleicht ganz früher, als sie erst sieben gewesen war. Man suchte sich einen Bach und folgte ihm, und irgendwann führte er einen aus dem Wald oder zu einem größeren Bach. War es ein größerer Bach, folgte man ihm, bis er einen aus dem Wald oder zu einem noch größeren Bach führte. Aber strömendes Wasser mußte einen letztlich hinausführen, weil es immer ins Meer floß, wo es keinen Wald mehr gab, nur Strand und Felsen und gelegentlich einen Leuchtturm. Und wie würde sie strömendes Wasser finden? Nun, sie würde natürlich der Felswand folgen. Der Steilwand, über deren Rand sie in ihrer Dämlichkeit fast gestürzt wäre. Die Wand würde sie in eine immer gleiche Richtung führen, und früher oder später würde sie einen Bach finden. Die Wälder waren voll davon, wie es so passend hieß.
    Sie nahm ihren Rucksack wieder auf den Rücken (diesmal über den Poncho) und kehrte vorsichtig zu der Felswand und der umgestürzten Esche zurück. Auf ihren panischen Sturmlauf durch den Wald blickte sie jetzt mit jener Mischung aus Nachsicht und Verlegenheit zurück, die Erwachsene oft empfinden, wenn sie an ihr schlimmstes Benehmen in ihrer Kindheit zurückdenken, aber sie stellte fest, daß sie selbst jetzt nicht sehr nahe an den Rand herantreten konnte. Davon würde ihr schwindlig werden. Sie konnte erneut ohnmächtig werden ... oder sich übergeben müssen. Etwas von ihrem Essen wieder herauszuwürgen, wo sie doch so jämmerlich wenig hatte, war keine gute Idee.
    Trisha wandte sich nach links und ging durch den Wald weiter, wobei sie darauf achtete, daß die Steilwand zum Tal hin sechs bis sieben Meter rechts neben ihr lag. Gelegentlich zwang sie sich dazu, näher heranzutreten, um sich zu vergewissern, daß sie nicht zu weit abgewichen war - daß die Steilwand mit ihrer weiten Aussicht noch da war. Sie horchte auf Stimmen, aber ohne große Hoffnung, denn der Appalachian Trail konnte jetzt überall liegen, und zufällig auf ihn zu stoßen wäre reines und unverdientes Glück gewesen. Worauf sie jetzt horchte, war strömendes Wasser, und endlich hörte sie es auch.
    Nützt mir nichts, wenn es in einem Wasserfall über diese blöde Felswand stürzt, dachte sie und entschloß sich, nahe genug an die Kante heranzugehen, um die Höhe der Felswand zu begutachten, bevor sie den Bach erreichte. Und sei es nur, um vor einer Enttäuschung sicher zu sein.
    Die Bäume wichen hier etwas zurück, und die Fläche zwischen Waldrand und Steilkante war mit niedrigen Beerensträuchern gesprenkelt. In vier bis fünf Wochen

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