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Das Mädchen.

Das Mädchen.

Titel: Das Mädchen. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sorglos sicher.
    Sie war jedoch neun, schon fast zehn, und groß für ihr Alter. Ihr Hunger war stärker als diese Erinnerung oder ihre Angst. Sie bestreute das Ei mit Salz und aß es rasch auf, während sie noch immer schniefte. Es war köstlich. Sie hätte leicht ein weiteres, vielleicht sogar zwei essen können. Mom nannte Eier »Cholesterinbomben«, aber ihre Mom war nicht hier. Und Cholesterin schien nicht besonders wichtig zu sein, wenn man sich im Wald verirrt hatte, über und über zerkratzt war und von Mückenstichen so geschwollene Lider hatte, daß sie mit irgend etwas beschwert zu sein schienen (vielleicht mit an den Wimpern klebendem Mehlkleister).
    Trisha begutachtete die Twinkies, dann riß sie die Packung auf und aß eines davon. »SEX-sa-tionell«, sagte sie - eines von Pepsis allergrößten Komplimenten. Sie spülte alles mit einem Schluck Wasser hinunter. Bevor eine Hand dann zur Verräterin werden und ihr noch etwas in den Mund stopfen konnte, packte sie das restliche Essen wieder in die Lunchtüte (die sich nun ein gutes Stück weiter zusammenrollen ließ), kontrollierte den Verschluß ihrer noch dreiviertelvollen Flasche Surge und verstaute alles wieder im Rucksack. Dabei berührten ihre Finger eine Ausbuchtung in der Seitenwand des Rucksacks, und sie fühlte, wie freudige Erregung - teilweise vielleicht auch durch die Kalorienzufuhr ausgelöst - sie durchzuckte.
    Ihr Walkman! Sie hatte ihren Walkman dabei! Yeah, Baby! Sie zog den Reißverschluß der Innentasche auf und hob ihn so ehrfürchtig heraus, wie ein Priester beim Abendmahl die Hostie emporhebt. Das Kopfhörerkabel war sorgfältig um das Gehäuse des Walkmans gewickelt, und die winzigen Ohrhörer steckten in den Halterungen an den Seiten des schwarzen Plastikgehäuses. Die Kassette mit dem Song, den Pepsi und sie gerade am liebsten mochten (Tubthumpervon Chumbawamba) war eingelegt, aber im Augenblick machte Trisha sich nichts aus Musik. Sie setzte den Kopfhörer auf, drückte die Ohrhörer fest, kippte den Schalter von TAPE auf RADIO um und schaltete den Walkman ein. Zuerst war nur ein leises atmosphärisches Rauschen zu hören, weil sie WMGX, eine Station in Portland, eingestellt hatte. Aber etwas weiter unten auf der UKW-Skala fand sie WOXO in Norwaty, und als sie in Gegenrichtung suchte, hörte sie WCAS, eine kleine Station in Castle Rock, durch das sie auf ihrer Fahrt zum Appalachian Trail gekommen waren. Sie glaubte fast, die spöttische Stimme ihres Bruders zu hören, als er mit seinem neuentdeckten Teenagersarkas-mus etwas Ahnliches sagte wie: »WCAS/ Heute Hicksville, morgen die Welt!« Und dies war eine Hicksville-Station, kein Zweifel. Näselnde Countrysänger wie Mark Chestnutt und Trace Adkins wechselten sich mit einer Ansagerin ab, die Anrufe von Hörern entgegennahm, die Waschmaschinen, Trockner, Buicks und Jagdgewehre verkaufen wollten. Aber immerhin waren das Kontakte mit Menschen, Stimmen in der Wildnis, und Trisha saß auf dem umgestürzten Baum, hörte wie gebannt zu und wedelte die ständige Insektenwolke geistesabwesend mit ihrer Mütze weg. Bei der ersten Zeitansage, die sie hörte, war es 15.09 Uhr. Um halb vier unterbrach die Ansagerin die Kommunalbörse lange genug, um die Lokalnachrichten vorzulesen. Bürger von Castle Rock machten gegen eine Bar mobil, in der jetzt an Freitag- und Samstagabenden Oben-ohne-Tänzerinnen auftraten, in einem hiesigen Pflegeheim war ein Brand ausgebrochen (zum Glück war niemand verletzt), und der Castle Rock Speedway sollte am Unabhängigkeitstag mit völlig neuen Tribünen und einem Galafeuerwerk wiedereröffnet werden. Nachmittags regnerisch, nachts aufklarend, morgen sonnig mit Temperaturen bis zu dreißig Grad. Das war alles. Kein vermißtes kleines Mädchen. Trisha wußte nicht, ob sie nun besorgt oder erleichtert sein sollte. Sie streckte ihre Hand aus und wollte das Gerät abschalten, um die Batterien zu schonen, zögerte aber noch, als die Ansagerin hinzufügte: »Vergessen Sie nicht, daß die Boston Red Sox es heute abend um sieben mit den garstigen New York Yankees aufnehmen; Sie können das gesamte Spiel verfolgen, hier auf WC AS, wo wir unsere Sox anhaben. Und jetzt zurück zu ...«
    Und jetzt zurück zu dem beschissensten Tag, den ein kleines Mädchen je erlebt hat, dachte Trisha, während sie das Radio ausschaltete und das Kopfhörerkabel wieder um das schlanke Plastikgehäuse wickelte. Die Wahrheit war jedoch, daß sie sich erstmals, seit die widerwärtige Elritze

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