Das Mädchen.
zusammen, die sie nicht benennen konnte. Einiges von diesem Zeug kannte sie, weil ihre Mutter es ihr erklärt hatte: die Birken, die Buchen, die Erlen, die Fichten und Kiefern; das dumpfe Hämmern eines Spechts und den heiser krächzenden Schrei der Krähen; das an eine quietschende Tür erinnernde Zirpen der Grillen, als der Tag zur Neige ging ... aber was war all das andere? Falls ihre Mutter es ihr gesagt hatte, konnte Trisha sich nicht mehr daran erinnern, aber sie glaubte nicht, daß ihre Mutter es ihr jemals gesagt hatte. Sie wußte recht gut, daß ihre Mutter in Wirklichkeit eine Städterin aus Massachusetts war, die seit einiger Zeit in Maine lebte, gern im Wald wanderte und ein paar Naturführer gelesen hatte. Was zum Beispiel waren die dicht belaubten Büsche mit den glänzenden grünen Blättern (bitte, lieber Gott, nicht Gifteichen)? Oder die kleinen, kümmerlich aussehenden Bäume mit den staubgrauen Stämmen? Oder die anderen mit den schmalen hängenden Blättern? Die Wälder um Sanford, die Wälder, die ihre Mutter kannte und in denen sie wanderte - manchmal mit Trisha und manchmal allein -, waren Spielzeugwälder. Dies war kein Spielzeugwald. Trisha versuchte, sich Hunderte von Suchern vorzustellen, die auf sie zukamen. Sie besaß eine lebhafte Phantasie, und anfangs fiel ihr diese Vorstellung ganz leicht. Sie sah große gelbe Schulbusse, auf deren Fahrtzielanzeige die Worte SONDERFAHRT SUCHTRUPP standen, überall im Westen von Maine auf Parkplätzen entlang des Appalachian Trails halten. Die Türen öffneten sich, und heraus quollen Männer in braunen Uniformen, manche mit Hunden an Ketten, alle mit am Gürtel angeklipsten Walkietalkies, einige ausgesuchte Männer mit batteriebetriebenen Megaphonen; diese würde sie als erste hören, laut verstärkte Götterstimmen, die durch den Wald hallten: »PATRICIA McFARLAND, WO BIST DU? WENN DU MICH HÖRST, KOMM AUF MEINE STIMME ZU!«
Aber als die Schatten unter den Bäumen dichter wurden und sich die Hände reichten, waren nur noch die Geräusche des Bachs - der weder breiter noch schmaler war als dort, wo sie neben ihm den Steilhang hinuntergerutscht war -und das Geräusch ihrer eigenen Atemzüge zu hören. Die Bilder von Männern in braunen Uniformen vor ihrem inneren Auge verblaßten nach und nach. Ich kann nicht die ganze Nacht hier draußen bleiben, dachte sie, niemand kann von mir erwarten, daß ich die ganze Nacht hier draußen bleibe ...
Trisha spürte, wie die Panik erneut versuchte, sich ihrer zu bemächtigen - sie ließ ihr Herz jagen, trocknete ihren Mund aus und brachte ihre Augen in ihren Höhlen zum Pochen. Sie hatte sich im Wald verirrt, wurde von Bäumen eingeengt, für die sie keinen Namen hatte, war allein in einer Umgebung, in der ihr Stadtkindvokabular ihr wenig nützte, und war daher auf ein schmales, durchweg primitives Spektrum von Erkennen und Reagieren zurückgeworfen. Vom Stadtkind zum Höhlenkind in einem einzigen leichten Schritt.
Sie fürchtete sich vor der Dunkelheit, selbst wenn sie zu Hause in ihrem Zimmer war, wo das Licht der Straßenlaterne an der Ecke durchs Fenster hereinfiel. Sie glaubte zu wissen, daß sie vor Angst und Entsetzen sterben würde, wenn sie die Nacht hier draußen verbringen mußte. Ein Teil ihres Ichs wollte losrennen. Egal, ob fließendes Wasser sie irgendwann zu Menschen führen würde, das alles war vermutlich nur eine Scheißidee aus Unsere kleine Farm. Sie war diesem Bach nun schon meilenweit gefolgt, und das einzige, zu dem er sie gebracht hatte, waren noch mehr Insekten. Sie wollte von ihm weglaufen, einfach in die Richtung laufen, in der sie am besten vorankam. Losrennen und Menschen finden, bevor es dunkel wurde. Daß diese Idee völlig plemplem war, nützte nicht viel. Jedenfalls änderte es nichts am Pochen in ihren Augen (und in den Stichen, denn die klopften nun auch), machte den kupfrigen Angstgeschmack in ihrem Mund nicht weniger widerlich.
Trisha kämpfte sich durch ein Gewirr von Jungbäumen, die so dicht zusammenstanden, daß sie fast miteinander verflochten waren, und erreichte eine halbmondförmige kleine Lichtung, auf der ihr Bach rechtwinklig nach links abbog. Dieser freie Platz, der auf allen Seiten von Gebüsch und ungleichmäßigen Baumgruppen umgeben war, erschien Trisha wie ein kleiner Garten Eden. Hier gab es sogar einen umgestürzten Baumstamm als Bank.
Sie ging zu ihm hin, setzte sich darauf, schloß die Augen und versuchte, um Rettung zu beten. Gott zu bitten, er
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