Das Mädchen.
möge ihren Walkman heil sein lassen, war einfach gewesen, weil sie nicht darüber nachgedacht hatte. Aber jetzt fiel ihr das Beten schwer. Ihre Eltern waren beide keine Kirchgänger -ihre Mom war eine nicht mehr praktizierende Katholikin, und soviel Trisha wußte, hatte ihr Dad nie etwas gehabt, das er nicht mehr praktizieren konnte -, und jetzt entdeckte sie, daß sie auch in dieser Bezeihung orientierungslos war und nicht den richtigen Wortschatz besaß. Sie betete das Vaterunser, aber aus ihrem Mund klang es matt und wenig tröstlich, ungefähr so nützlich, wie ein elektrischer Dosenöffner hier draußen gewesen wäre. Dann öffnete sie die Augen, sah sich auf der kleinen Lichtung um, nahm nur zu deutlich wahr, wie grau die Luft wurde, und faltete nervös ihre zerkratzten Hände.
Trisha konnte sich nicht daran erinnern, jemals mit ihrer Mutter über spirituelle Dinge gesprochen zu haben, aber ihren Vater hatte sie vor kaum einem Monat gefragt, ob er an Gott glaube. Sie hatten im Garten hinter seinem kleinen Haus in Maiden gesessen und Waffeleis gegessen, das der Sunny-Treat-Mann verkaufte, der noch immer mit seinem bimmelnden weißen Eiswagen vorbeikam (allein bei dem Gedanken an den Sunny-Treat-Wagen wäre Trisha fast wieder in Tränen ausgebrochen). Pete war »unten im Park« gewesen, wie man in Maiden sagte, und hatte mit seinen alten Freunden herumgelungert.
»Gott«, hatte Dad gesagt, als koste er das Wort wie einen neuen Eiscremegeschmack - Vanille mit Gott statt Vanille mit Krokant. »Wie kommst du darauf, Schatz?« Sie hatte den Kopf geschüttelt, weil sie es nicht wußte. Aber als sie jetzt in der wolkigen Junidämmerung voller Insekten auf dem umgestürzten Baum saß, kam ihr ein erschreckender Gedanke: Was war, wenn sie diese Frage gestellt hatte, weil irgendein in die Zukunft blickender verborgener Teil ihres Ichs gewußt hatte, daß dies passieren würde? Weil er es gewußt hatte und zu dem Schluß gelangt war, sie brauche ein bißchen Gott, um durchzukommen, und deshalb eine Leuchtkugel hochgeschossen hatte?
»Gott«, hatte Larry McFarland gesagt und an seiner Eiscreme geschleckt. »Gott, hmmm, Gott ... « Er dachte noch etwas länger nach. Trisha saß stumm auf ihrer Seite des Picknicktischs, blickte in seinen kleinen Garten hinaus (es mußte mal wieder gemäht werden) und ließ ihm soviel Zeit, wie er brauchte. Schließlich sagte er: »Ich will dir sagen, woran ich glaube. Ich glaube an das unterschwellig Wahrnehmbare.«
»Das was?« Sie sah ihn an, weil sie nicht recht wußte, ob er scherzte oder nicht. Er machte aber nicht den Eindruck, als scherze er.
»Das unterschwellig Wahrnehmbare. Weißt du noch, wie wir in der Fore Street gewohnt haben?«
Natürlich erinnerte sie sich an ihr Haus in der Fore Street. Drei Blocks von hier entfernt, fast an der Stadtgrenze zu Lynn. Ein größeres Haus als dieses mit einem größeren Rasen nach hinten hinaus, den Dad regelmäßig gemäht hatte. Damals, als Sanford nur Großeltern und Sommerferien bedeutet hatte und Pepsi Robichaud nur ihre Sommerfreundin gewesen war und Armfürze der größte Lacherfolg des Universums gewesen waren ... außer echten Fürzen, versteht sich. In der Fore Street hatte die Küche nicht nach abgestandenem Bier gerochen, wie es die Küche hier tat. Sie nickte, weil sie sich sehr gut daran erinnerte. »Es hatte Fußbodenheizung, dieses Haus. Weißt du noch, wie die Heizkörper gesummt haben, selbst wenn sie nicht geheizt haben? Sogar im Sommer?« Trisha schüttelte den Kopf. Und ihr Vater nickte, als habe er das erwartet.
»Das liegt daran, daß du dich daran gewöhnt hast«, sagte er. »Aber glaub mir, Trish, dieser Ton ist immer dagewesen. Selbst in einem Haus ohne Fußbodenheizung gibt es immer Geräusche. Der Kühlschrank schaltet sich ein und aus. Die Wasserleitungen knacken. Die Fußböden knarzen. Draußen fahren Autos vorbei. Wir hören diese Dinge immerzu, deshalb nehmen wir sie meistens überhaupt nicht wahr. Sie werden ...«, und er bedeutete ihr, den Satz zu Ende zu bringen, wie er es getan hatte, seit sie als kleines Mädchen auf seinem Schoß gesessen und zu lesen begonnen hatte. Seine liebevolle alte Geste.
»Nur unterschwellig wahrgenommen«, sagte sie - nicht etwa, weil sie die Bedeutung der Wörter ganz verstand, sondern weil er es so offenkundig von ihr hören wollte. »Gee-nau«, bestätigte er und gestikulierte wieder mit seiner Eiswaffel. Mehrere Vanilletropfen liefen am Bein seiner Khakihose
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