Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Maedchengrab

Das Maedchengrab

Titel: Das Maedchengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadja Quint
Vom Netzwerk:
aus. »Ich will dir sagen, was sie ist, deine Schwarze Marjann: Eine alte Vettel ist sie! Eine Eigenbrötlerin! Und es wäre wohl besser gewesen, ich hätte dich nie bei ihr wohnen lassen, wenn sie dir solch törichte Gespinste ins Hirn setzt.«
    »Sie mag ja eine Eigenbrötlerin sein«, erwiderte Fine ruhig. »Aber zuallererst ist sie eine Tagelöhnerin, und zwar eine sehr fleißige. So wie meine Mutter es eben auch war«, mit ausgestrecktem Arm wies Fine zum Grab ihrer Eltern. »Und nun will auch ich eine rechtschaffene Tagelöhnerin werden und der Schwarzen Marjann als meiner guten Quartiersmutter zur Hand gehen.«
    Offensichtlich begriff der Oberlandbauer in diesem Augenblick, warum es Fine so wichtig gewesen war, im Angesicht des Elterngrabes mit ihm zu sprechen: Sie erhoffte sich, dass er sich hier ihrem Eigensinn schlechter widersetzen konnte.
    Aber noch war sein Grimm über ihre unbotmäßige Forderung nicht verflogen. »Meinetwegen kannst du bei Marjann wohnen bleiben«, entgegnete er. »Statt deiner werde ich dann Bärbel als Jungmagd einstellen, denn darum hat ihre Mutter mich ohnehin schon gebeten.«
    »Danke, Herr Vormund«, Fine wollte schon aufspringen vor Erleichterung.
    Doch der Oberlandbauer hielt sie zurück und schalt sie: »Warte ab, was ich dir zu sagen habe, ich bin noch nicht fertig: Du kannst Marjann helfen, so viel du magst. Aber nicht tagsüber. Da wirst du einer anderen Beschäftigung nachgehen. Denn wenn du schon nicht als Magd bei mir arbeiten willst, obwohl ich mich als Vormund unentgeltlich für dich einsetze, so befehle ich dir: Gib wenigstens der Gemeinde etwas zurück von dem Kostgeld, das sie in dein Überleben gesteckt hat.«
    Fine wusste, das sie keinesfalls noch mehr fordern konnte. Sie war dankbar, bei Marjann wohnen zu bleiben zu. In alles andere musste sie sich nun fügen.
    »Was soll ich also tun?«, fragte sie höflich. »Ich scheue mich vor nichts.«
    Vermutlich weil sie einlenkte, wurde der Oberlandbauer um einiges freundlicher. »Freilich, Kind. Du musst dich vor nichts scheuen als vorm Betteln. Aber eigentlich solltest du selbst wissen, welche Arbeit im Dorf dringend zu übernehmen ist. Hast du denn nicht gehört, dass der närrische Fridolin im letzten Herbst zwei Gänse totgeschlagen hat, die er hüten sollte?«
    »Doch.« Fine nickte.
    Der Vorfall war ihr zu Ohren gekommen. Üblicherweise wurde das Gänsehüten von einem Kind übernommen, das geistig zurückgeblieben war. Und manchmal kam es dann eben vor, dass ein solches Kind die Tiere quälte oder gar tötete.
    »Der Gänsedienst ist für diesen Sommer also leer«, fuhr der Oberlandbauer fort, »und ich rate dir, nimm ihn an.«
    »Das werde ich tun, so wahr mit Gott helfe«, entgegnete Fine aufrichtig. »Ihr könnt euch auf mich verlassen. Sagt mir nur, wann ich damit beginnen soll, und ich werde zur Stelle sein.«
    »Es ist dir ernst, Kind. Das vermag ich zu schätzen. Aber wisse wohl: Wenn du eines Tages einen Mann suchst, der dich und eure Kinder ernähren kann, dann wird so einer wohl lieber die Jungmagd eines großen Hofs wählen als eine Gänsehirtin.«
    »Das stört mich nicht. Denn ich werde ja nicht nur Gänsehirtin sein. Im Sommer sind die Gänse nachts im Pferch neben der Wiese. Und im Winter sind jene, die nicht zum Martinstag geschlachtet wurden, in den Ställen bei den Häusern. Demnach bleibt mir noch genügend Zeit, Marjann bei ihrer Arbeit zu helfen. Also bin ich nicht nur Gänsehirtin, sondern auch Tagelöhnerin. Das sollte ein junger Mann doch anerkennen.«
    Nun musste der Oberlandbauer schmunzeln, so sehr beeindruckte ihn der Ernst des Mädchens. »Dann halte dich bereit, die ersten Küken schlüpfen bald. In spätestens zwei Wochen sollte ihre Zeit auf unseren Hollerwiesen wohl anfangen. Solange hilfst du der Schwarzen Marjann, aber wenn die ersten Tiere beringt sind, beginnst du deinen Dienst.«
    »Das will ich gern tun.« Fine hielt ihrem Vormund zum Dank die Hand hin.
    Er schlug lächelnd ein und machte sich auf, zurück zu seinem Hof.
    So sehr Fine sich auch freute, überkam sie doch ein Unbehagen. Wären ihre Eltern stolz auf sie gewesen? Hätten sie erlaubt, dass ihre Tochter Tagelöhnerin wurde, statt auf dem Hof des Vormunds zu arbeiten? Hätten sie es gutgeheißen, dass Fine als Preis für ihren Eigensinn sogar den niedrigen Dienst einer Gänsemagd übernahm?
    Sie blieb noch einige Zeit am Grab sitzen. Mehr und mehr kam sie zu der Überzeugung, richtig gehandelt zu haben: Vater und

Weitere Kostenlose Bücher