Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Maedchengrab

Das Maedchengrab

Titel: Das Maedchengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadja Quint
Vom Netzwerk:
festgeklopftem Lehm, die Möbel waren alt und von schlichtem Buchenholz. Mit blauem Bettzeug und gleichfarbigen Vorhängen hatte Marjann alles so liebevoll gestaltet, dass es einen Freudenhüpfer in Fines Seele tat. Sogar ein Strauß von Weidenkätzchen prangte auf dem Nachtschrank.
    Auch Marjann strahlte. »Hier sollst du nun schlafen. Zwar bloß in der warmen Jahreszeit, denn es gibt ja keinen Ofen. Für Frühjahr und Herbst bekommst du ein dickes Federkissen. Nur im Winter wirst du wieder zu mir ins Haus ziehen müssen.«
    »Wie wunderschön, Tante! Tausend Dank!«, jubelnd schlang Fine die Arme um ihre Ziehmutter und hätte sie am liebsten herumgewirbelt vor Freude.
    Marjann, die inzwischen in der Mitte ihres siebten Lebensjahrzehnts stand, war nicht mehr zu haben für solchen Überschwang. Dennoch ließ sie keinen Zweifel daran, wie sie sich mit freute. »Du bist nicht der erste junge Mensch, der sich hier einrichtet«, erklärte sie. »Auch mein Hannes hat hier die letzten Jahre genächtigt. Bevor er nach Amerika gegangen ist.«
    »Von seiner Kammer hier habt Ihr mir nie erzählt, Tante«, wunderte Fine sich. »Ich dachte immer, Hannes hatte sein Bett auf der Ofenbank.«
    »Im Winter schon. Aber im Sommer hat er hier im Schuppen geschlafen. Es ist gut, wenn ein junger Mensch für sich allein sein kann und nicht immer nur bei seiner alten Mutter hockt.«
    Fine machte ein paar Tanzschritte durch den Raum und konnte es kaum fassen, wie wunderbar Marjann alles gestaltet hatte. »Davon habe ich ja gar nichts mitbekommen. Wann habt Ihr die Kammer denn eingerichtet?«
    »Immer, wenn du in der Schule warst«, Marjann lächelte spitzbübisch. »Die Ravenzacherin hat mir geholfen. Und du bist während dieser Zeit so oft durch den Garten gegangen und hast den Umbau nicht erkannt, weil wir äußerlich nichts verändert haben. Sogar die Spinnweben vor dem Fenster haben wir gelassen. Die habe ich erst letzten Abend entfernt, als du schon eingeschlafen warst.«
    Fine schüttelte den Kopf vor Verwunderung. »Aber hier war doch alles voll gestellt. Wo sind denn die ganzen Werkzeuge hin?«
    »Nebenan und im Keller. Die Möbel standen übrigens die ganze Zeit hier. Aber das Meiste war zu Brettern zerlegt und übereinander gestapelt. Du konntest gar nicht erkennen, welch schöne Dinge hier versteckt waren. Den Schrank und das Bett hat noch mein Berthold geschreinert. Gott hab ihn selig.«
    Vor Rührung begann Marjann zu weinen, und auch bei Fine flossen einige Tränen, so glücklich und dankbar war sie. Gern hätte sie sofort den Schrank mit ihren Sachen eingeräumt, aber sie wollte den Abschied aus der gemeinsamen Schlafkammer nicht überstürzen. Darum nächtigte sie ein letztes Mal vor Beginn des Sommers in ihrem alten Bett neben Marjann.

Die Gänse
    Kaum war das Osterfest in seinem Sonnenglanz vorüber, da änderte der Frühling sein Gesicht. Es folgten zwei nasskalte Wochen. Die schon blühenden Bäume standen wie frierende Fremdlinge auf den Wiesen, deren Gräser morgens Raureif trugen. Tagelang ließ sich die Sonne kaum blicken, und ein Frösteln ging durch die Natur. Nur ab und zu durchbrach ein Aufzucken des Windes diese Starre, dann litten die Bäume, denn jede Böe trug Blüten davon.
    Wegen des Wetters blieb Fine noch ein Aufschub bis zu ihrem Gänsedienst. Sie nutzte die freien Tage, um sich ihr neues Zimmer behaglich zu machen.
    Auf ihr kleines Reich im Schuppen war sie stolz. Nur wenige Mädchen im Dorf hatten eine eigene Schlafkammer. In der Tat kam es Fine sehr gelegen, wenigstens im Sommer nicht mehr neben Marjann schlafen zu müssen. Denn die alte Frau schnarchte zunehmend heftig, sogar dann, wenn sie mit dem Oberkörper auf einem Berg von Kissen lag.
    Nach und nach brachte Fine ihre Wäsche und Kleider von Marjanns Haus in die neue Kammer – dabei musste sie unentwegt an Hannes denken.
    Das vertrauliche Gespräch mit Ulla über seine Auswanderung lag nun schon ein halbes Jahr zurück. Seitdem hatte Fine oft überlegt, wie das alles zusammenpassen mochte. Konnte es wirklich sein, dass er Lisbeth ermordet hatte und danach verschwunden war?
    Fine war Hannes nie persönlich begegnet, aber nun, da sie seine Schlafkammer übernommen hatte und zwischen seinen ehemaligen Möbeln lebte, hatte Fine das Gefühl, seiner Seele nahezukommen. Sie stellte sich vor, wie es Hannes hier ergangen sein mochte.
    Jeden einzelnen von seinen Briefen hatte Marjann ihr gezeigt, wieder und wieder hatten die beiden seine Zeilen gelesen.

Weitere Kostenlose Bücher