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Das Maedchengrab

Das Maedchengrab

Titel: Das Maedchengrab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadja Quint
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und erzählte nicht von der Begegnung mit dem Ohm. Wenn ihre Kameradinnen nachfragten, entgegnete sie, dass sie nachdenken müsse und erst danach alles berichten wolle.
    Am Abend aber, als sie nach ihrem Dienst die Oberdorfstraße hinunter zum Haus der Marjann ging, fing Basti sie ab.
    »Ich will mit nach Amerika«, sagte er fordernd. »Ich muss fort vom Ravenzacher, ich leide nicht mehr länger seine schlechten Launen und Ärgereien.« Bastis Ton wurde zornig. »Und wenn du sagst, du bleibst hier, Fine, dann kann es sein, dass der Ohm mich auch hierlässt.«
    »Aber warum sollte er dich nicht mitnehmen?«, entgegnete sie besonnen und merkte, wie ihr schwer ums Herz wurde. »Du bist nun zwölf Jahre alt, deine Schulzeit ist um, und du kannst arbeiten. Also wirst du gehen, wohin du magst, wenn der Vormund und der Gemeinderat nur zustimmen.«
    »Doch du weißt schon, wie gut wir es dort haben würden?«, erwiderte Basti flehentlich. »Unser Onkel ist Verwalter von einem riesigen Gehöft, wo man nichts als Zitrusfrüchte anpflanzt. Er hätte uns wohl ein paar solcher Früchte mitgebracht, wenn sie nicht auf der langen Überfahrt verdorben wären. Auf dem Gut käme auch nur leichte Arbeit auf uns zu, denn das Schwere erledigen dort Menschen mit ganz schwarzer Haut, die nicht viel anders sind als starke Tiere. Bis vor einigen Jahren waren sie sogar noch Sklaven. Jetzt sind sie zwar frei, und man muss ihnen einen geringen Lohn zahlen, aber sie arbeiten wie eh und je. Glaube mir, Fine, wir hätten dort ein Leben wie im Paradiese. Bitte komm doch mit!«
    Mit Schrecken sah sie, wie ihrem Bruder Tränen in die Augen traten. »Ich kann nicht«, entgegnete sie leise.
    »Und genauso wenig kann und will ich hier bleiben«, Basti heulte auf. »Aber wenn wir uns trennten, du und ich? Das täte dir nicht weh?«
    »Und wie mir das weh täte!« Bis eben war Fines Gesicht reglos geblieben, doch nun weinte auch sie. »Ein jeder muss den Weg gehen, den er für richtig hält«, sagte sie unter Schluchzen.
    Die Geschwister hielten einander lange in den Armen und überlegten noch einige Male hin und her. Doch es blieb bei ihren jeweiligen Entschlüssen – sie konnten beide nicht anders. Obwohl es schon fast Nacht war, gingen sie gemeinsam zum Weiher neben dem Haus ihrer Eltern und schlangen ihre Arme um den Stamm des Vogelbeerbaums. Fine lehnte ihre Wange gegen die schroffe Rinde und hörte den Baum rauschen und wusste, dass sie dableiben würde, auch wenn ihr Bruder gehen sollte.
    Miteinander versöhnt machten sie sich auf den Weg in ihre Quartiere.
    Marjann war zwar schon zu Bett gegangen, stand aber gern noch einmal auf, um ihrer Pflegetochter in deren Kummer zuzuhören.
    »Basti verliere ich ohnehin«, klagte Fine. »Auch wenn wir gemeinsam beim Ohm in Amerika wären, könnte ich nicht mehr so wie jetzt zusammen sein mit ihm. Denn er ist bald erwachsen und führte dort sicher sein eigenes Leben. Dieses Dorf aber, mit dem Haus und dem Garten, hier haben Vater und Mutter voller Liebe mit uns gelebt, und hier will ich bleiben.«
    Marjann nickte berührt.
    Dieselben Worte sagte Fine am nächsten Morgen auch dem Ohm und dem Vormund.
    In der Antwort des Onkels lag eine seltsame Mischung von Bitterkeit und Wohlwollen. Immerhin, er drängte Fine nicht mehr, sondern meinte: »Freilich, mein Mädchen, du artest deiner Mutter nach, und die hat nie etwas von uns wissen wollen. Also nehme ich allein den Basti mit.«
    Seine Worte brannten wie eine Wunde in ihrem Herzen, aber sie entgegnete: »Grüßt mir Eure Frau und sagt ihr, es fällt mir schwer, dass ich sie als meine nächste verbleibende Anverwandte nun nicht sehe.«
    »Das will ich gewiss tun«, entgegnete der Ohm. »Es hat wohl wenig Sinn, dich gegen deinen Willen zu übersiedeln.«
    Fine bedankte sich herzlich dafür, dass er ihrem Wunsch folgte.
    Nun war es also eine beschlossene Sache: Sie sollte bis zu ihrer Volljährigkeit oder Heirat das Mündel des Oberlandbauern bleiben, musste für ihren Lebensunterhalt aber selbst sorgen und hatte keinerlei Ansprüche mehr aus der Gemeindekasse. Für Basti hingegen begannen die Vorbereitungen zu seiner großen Reise.
    In der folgenden Woche besuchte Tonnes Aldenhoven seinen ehemaligen Arbeitskameraden in Euskirchen und einige andere Bekannten aus der Gegend. Als jedoch Bastis letzter Schultag anstand, kehrte er zurück nach Reetz und nahm teil am Gottesdienst, in dem wie jedes Jahr der Vikar die Schulabgänger segnete.
    Schon tags darauf machte sich

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