Das Maedchengrab
Henne kräht wie ein Hahn, schlägt das Wetter ein oder es gibt ein Unglück.« Er lachte hämisch auf.
Am liebsten hätte Fine sich auf der Sohle umgedreht und den Raum verlassen. Doch weil sie das Zusammentreffen nicht weiter verschlimmern wollte, schwieg sie mit starrer Miene.
Derweil schenkte der Oberlandbauer sich und dem Gast einen selbst gebrannten Apfelschnaps ein. Die Männer prosteten einander zu.
Der Ohm kippte das Glas rasch hinunter, und seine Stimmung schien sich schlagartig zu bessern. Denn er wandte sich Basti zu und fragte launig: »Und du, mein lieber Neffe? Wie geht es dir? Was hast du deinem alten Onkel zu sagen?
Basti schien durchaus zu merken, dass der Humor aufgesetzt war, doch er zeigte keine Scheu vor dem fremden Mann. »Es geht mir gut, Onkel«, und freundlich fügte er hinzu: »Hast du uns etwas mitgebracht?«
Der Ohm lachte laut. »Ich wusste doch, dass diese Frage kommt. Darum sage ich dir gleich: Ich habe nicht viel zum Mitbringen. Ich bringe nur mich selbst mit.« Und als er Bastis enttäuschte Mine sah, fügte er hinzu. »Aber da ist doch noch etwas, das ich für euch habe. Nämlich eine große Überraschung.«
»Eine Überraschung?!«, rief Basti nun erfreut.
»Jawohl«, meinte der Onkel bedeutungsvoll, »und zwar etwas sehr Wichtiges: Ich bin nämlich gekommen, um euch abzuholen. Ihr geht mit mir nach Amerika.«
Basti jubelte laut: »Das habe ich mir so gewünscht, dass du deswegen kommst!« Er lief dem Ohm in die weit geöffneten Arme und ließ sich an dessen Leib drücken.
Fine hingegen erschrak und wich unwillkürlich einen Schritt zurück. Mit flacher Hand schlug sie sich vor den Mund, um einen Aufschrei zu unterdrücken. »Nach Amerika?!«, entfuhr es ihr mit matter Stimme.
»Was ist?«, fuhr der Oberlandbauer sie an. »Es wird euch dort gut gehen. Ihr werdet Arbeit und einen guten Lohn haben auf dem Anwesen eurer Verwandten.«
»Gewiss«, ergänzte der Ohm, während er Basti unvermittelt losließ. »Es ist alles für euch bereitet, die Karten für die Überfahrt sind reserviert. Ich will mich hier noch einige Tage aufhalten, um einen alten Freund zu besuchen. Aber nächste Woche werden wir aufbrechen nach Bremerhaven, wo unser Schiff ablegt.«
Basti hätte wohl gern weiter gejubelt, doch er verstummte, so ernst war Fines Blick.
Sie schaute zwischen den Männern hin und her. »Ich will darüber nachdenken«, sagte sie höflich.
»Was nachdenken?!«, entfuhr es dem Oberlandbauern. »Da gibt es nichts zu denken. Ich bin euer Vormund und verfüge es. Euer Ohm und seine Frau wollen euch beide an Kindes statt annehmen. Sie zahlen die Überfahrt und werden euch Unterkunft und Brot geben. Alles ist geklärt, auch der Gemeinderat wird zustimmen. Dabei bleibt es.«
»Und wenn ich lieber hierbleiben will? Weiter bei der Marjann wohnen und hier als Magd arbeiten? Herr Vormund, Ihr habt neulich selbst gesagt, dass Ihr zufrieden seid mit meiner Arbeit auf Eurem Hof.« Mit aller Festigkeit sah Fine dem Oberlandbauern ins Gesicht. Sie merkte wohl, dass den Ohm, der daneben stand und ihre Hartnäckigkeit noch nicht kannte, ein leichter Schreck durchfuhr ob der ruhigen Kraft ihrer Worte.
»Josefine«, nun sprach er sie mit richtigen Namen an. »Auch eure Tante Henriette freut sich darauf, euch in die Arme zu schließen, nun wo es feststeht, dass wir keine eigenen Kinder haben können. Wir wollen euch adoptieren, was bestimmt im Sinne eurer Eltern wäre. Und in Amerika braucht ihr euch nicht zu fürchten vor Missernten und Hungersnöten.«
Noch immer kämpfte Fine gegen eine heiße Wut an. Besser als eben noch, gelang es ihr, sich zu beherrschen. »Lieber Onkel Tonnes«, entgegnete sie verbindlich. »Ich weiß Eure Großzügigkeit zu schätzen. Aber selbst in der größten Hungersnot wollten Eure Eltern, die meine Großeltern sind, und auch meine Eltern nie das Dorf verlassen. Und nun denke ich nicht, sie wollten, dass ich es gegen meine Überzeugung und vor allem entgegen meiner tiefen Liebe zur Heimat täte.«
Fines Worte, so respektvoll und dabei so verständig, machten den Oberlandbauern und den Ohm sprachlos.
Fine nutzte das kurze Schweigen. »Ich werde mich morgen entscheiden«, sagte sie, und zum Oberlandbauern gewandt: »Jetzt ginge ich gern zurück in die Küche. Dort warten noch zwei Kaninchen darauf, dass ich sie häute und ausnehme. Am Sonntag soll es den Braten geben.«
Die beiden Männer ließen Fine ziehen. Sie kehrte in die Küche zurück zu den anderen Mägden
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