Das Maedchengrab
weiter.«
»Dann gute Reise«, erwiderte Pitter. »Gehabt Euch wohl.«
Er blieb neben Fine stehen, als der Reiter sein Pferd wendete und sich in Richtung Hauptstraße aufmachte. Noch einmal hob er die Hand und warf Fine einen kurzen, aber herzlichen Blick zu.
Kaum war er fünfzig Fuß entfernt, da legte Pitter seine Hand auf Fines Schulter und führte sie zum Gasthof zurück.
»Du hast mir versprochen zu tanzen. Nun habe ich Zeit dafür.«
»Sicher, Pitter. Mit Vergnügen«, entgegnete sie milde.
Als sie die Schwelle des Hauses erreichten, blieb er stehen und sah Fine eindringlich an. »Wie heißt dieser Fremde auf dem Pferd?«
»Ich weiß es nicht«, entgegnete sie arglos. »Wir haben uns unsere Namen nicht gesagt. Und ja auch nur kurz miteinander gesprochen.«
In Pitters Blick lag Missmut. »Du hast dich unschicklich benommen. Aber ich werde meinen Mund halten, weil ich es gewiss gut mit dir meine. Niemand braucht zu wissen, dass du dich von einem fremden Reiter auf der Straße hast ansprechen lassen.«
Sie gingen ins Wirtshaus, Fine schwieg. Pitters Worte taten ihr weh, doch sie musste zugeben: Ganz unrecht hatte er nicht.
Doch er nahm sie freundschaftlich am Arm und sagte: »Nun wollen wir fröhlich sein, schließlich feiern wir hier eine Hochzeit.«
Aufmunternd führte er Fine zurück ins Gasthaus, beide zeigten sich den anderen in guter Stimmung. Gerade wurde ein Ländler gespielt, Fine warf ihr Schultertuch ab und begann, mit Pitter zu tanzen. Lebhaft und lustig war die Melodie. Er wirbelte Fine herum, und sie lachte ihm oft zu. Doch in Gedanken war sie längst andernorts.
In der folgenden Stunden rückte Pitter kaum von Fines Seite, und sie ließ es zu, dass er ihr auf die Wange küsste. So manch freundlichen Blick warf er ihr an diesem Abend noch zu, den sie stets erwiderte, doch nie sah sie ihm lange in die Augen.
Als die Uhr elf schlug, verabschiedete Fine sich und dankte dem Paar herzlich für die Feier.
»Warte noch eine halbe Stunde«, rief die Ravenzacherin ihr mit schwerer Zunge zu. »Dann gehe ich auch.«
Doch Fine lehnte höflich ab. Sie hatte beobachtet, wie das ältliche Weib den ganzen Abend lang den geistigen Getränken zugesprochen hatte.
Die sollte der Ravenzacher selbst nach Hause bringen, dachte Fine und entgegnete freundlich: »Nun muss ich schlafen gehen, denn morgen um fünf beginnt mein Dienst, so wie alle Tage. Und überhaupt. Die Schwarze Marjann sagt immer: ›Allein zu laufen ist das beste Fuhrwerk, das ist immer eingespannt.‹«
Also machte Fine sich ohne Begleitung auf den Weg. Sie ging schneller als sonst, denn von den Ahrbergen her zog ein kalter Wind auf. Fest zog sie sich ihr wollenes Tuch um den Oberkörper. Das Dorf lag schon in nächtlichem Frieden. Nur aus dem einen oder anderen Fenster drang der schwache Schein einer Lampe. Der Mond stand klar im Dreiviertelrund. Für Fine war es hell genug. Sie kannte den Weg so gut, dass sie ihn auch in völliger Dunkelheit hätte nehmen können. Nur noch wenige Laute drangen auf die Straße, aus den Ställen war einiges Muhen und Quieken zu hören, Vögel huschten im Gebüsch am Wegrand, ein Käuzchen schrie im benachbarten Wald.
Nachdem sie die Ortsmitte durchschritten hatte, näherte sie sich einem Haus, das von einer hohen, wild wuchernden Hecke umgeben war. Die einstigen Bewohner hatten schon vor langer Zeit das Dorf gen Amerika verlassen, seitdem stand ihr Haus leer. Gerade warf Fine einen Blick in den Himmel, wo Wolken aufzogen und den Mond halb verhüllten, da sprang eine Gestalt auf sie zu.
Fine blieb stehen. Der Teufel!, fuhr es ihr im ersten Moment in den Sinn. Sie hätte vor Entsetzen wohl laut aufgeschrien, doch die panische Angst ließ sie im Schock erstarren. Es war ein Mensch, der sich ihr da in den Weg stellte, so viel konnte sie noch wahrnehmen. Ein stattlicher Mann. Im schwachen Licht erkannte sie einen riesigen Kopf und Hände, groß wie Schaufeln. Er legte seine Pranken auf Fines Schultern ab. Sie erstarrte und atmete kaum. Ihren Herzschlag spürte sie bis in die Schädeldecke.
Der Riese beugte sich herab. Sein gewaltiger, ballrunder Kopf kam Fine immer näher. Der keuchende Atem stank nach faulem Branntwein. Angewidert wollte Fine ihr Gesicht abwenden. Doch eine Stimme in ihr mahnte sie: Du musst hinsehen! Schau hin! Sie zwang sich, ihren Blick auf ihm zu halten, und nun erkannte sie den Mann: Es war der Lohbauer!
Er hielt die Augen weit aufgerissen, während er immer lauter Luft in die Lunge
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