Das Maedchengrab
sehr stark betrunken. Er wollte mir wohl auch irgendetwas sagen, aber selbst das konnte er nicht mehr.«
»Ich gehe gleich nach Freilingen und vernehme ihn«, versprach Gerd. »Dann kann ich entscheiden, ob wir ihn auf die Wache einbestellen.«
»Sonst nichts?«, entfuhr es Fine gereizt. Gleich darauf mäßigte sie sich, denn sie wollte ihren Ärger nicht an Gerd auslassen, der sicher alles tat, was in seiner Macht stand. »Ihr nehmt den Lohbauern also nicht gleich fest?«
»Ich verstehe schon, was du meinst.« Gudrun strich tröstend über Fines Arm. »Man müsste ihn doch sofort einsperren bei allem, was vorgefallen ist.«
Fine nickte entschieden, doch Gerd entgegnete: »So einfach ist das nicht. Wenn ich dich recht verstehe, gab es bei dem nächtlichen Überfall keine Zeugen.«
»Glaubt die Polizei mir denn nicht?«, fragte Fine fassungslos.
»Wir glauben dir, Fine«, Gerd verzog bedauernd die Miene. »Aber wir brauchen Beweise. Wir wissen nicht, was den Lohbauern angetrieben hat, als er dich bedrängt hat. Er war heftig betrunken. Und es ist mitten im Dorf passiert. Wenn du hättest schreien können, wären sofort Leute bei dir gewesen. Das alles hat nicht die Handschrift der Morde an Lisbeth und Bärbel.«
Gern hätte Fine ihrer Wut Luft gemacht, doch sie wusste ja, dass Gerd ihretwegen nicht die Gesetze brechen durfte. Wieder trank sie vom Kaffee und fragte dann besonnen: »Also brauche ich keine Angst zu haben, dass er so was noch mal tun könnte? Oder gar Schlimmeres?«
»Wir werden das klären«, versprach Gerd. »Jedenfalls dürfen wir keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wenn du in Gefahr wärst, würden wir dich warnen, Fine. Führe dein Leben wie gewohnt. Und lass dich auf keine zweifelhafte Liebe ein, aber das tust du ja ohnehin nicht. Dies ist das Wichtigste, was ich dir sagen kann.«
Fine nickte, wenn auch ihr Argwohn blieb.
Gerd stand auf und zog seine Uniformjacke an. »Jetzt gehe ich zu ihm. Wenn du heute nichts mehr von mir hörst, ist die Sache vorerst geklärt.«
Nachdem auch Gudrun ihr gut zugesprochen hatte, war Fine wohler ums Herz. Was sollte sie auch anderes tun, als auf die Polizei zu vertrauen?
Weder an diesem noch am nächsten Tag meldete Gerd sich, demnach brauchte Fine vom Lohbauern nichts mehr zu befürchten. Alles im Dorf folgte dem gewohnten Gang.
Je wärmer der Frühling wurde und hinüberglitt in den frühen Sommer, umso mehr verblasste in Fine der Schrecken jener Nacht. Und einige Tage später, an einem warmen Abend vor einer Vollmondnacht, traf Fine während ihres Heimwegs auf Gerd. Auch er war noch im Dorf unterwegs.
»Wie schön, dich zu sehen, Fine«, begrüßte er sie und erzählte gleich: »Ich habe mich nicht mehr bei dir gemeldet, denn mit dem Lohbauern ist alles geklärt. In ihm wühlt immer noch der Kummer über das, was in Bärbels Tagebuch steht. Deswegen hatte er stark getrunken. Und als er dich sah, fuhr der Gedanke in ihn, dir etwas sagen zu müssen.«
»Und was, bitteschön?«, erneut musste sie sich zwingen, ihren Zorn nicht an Gerd auszulassen.
»Er wollte dir sagen, dass du wirklich mit niemandem über den Taler sprechen sollst, den er dir damals auf den Hollerwiesen gab.«
»Aber das habe ich doch auch nicht«, empörte Fine sich. »Außer mit meinem Vormund und mit der Polizei.«
»Ja. Dafür ist der Lohbauer dir dankbar. Aber in seinem Rausch wollte er es dir noch einmal einschärfen. Dabei hatte er sicher keine bösen Absichten, und es wird nicht wieder vorkommen.«
Fine zog die Stirn hoch. »Nun gut, Gerd. Wenn du als Polizist das sagst, kann ich mich wohl darauf verlassen. Aber ob es eine Liebschaft zwischen ihm und Bärbel gab oder nicht, das ist wohl immer noch ungewiss?«
»Leider«, Gerd seufzte. »Der Lohbauer behauptet nach wie vor, das alles seien nur Hirngespinste. Doch Angst brauchst du nicht zu haben.«
Fine nickte, wenn auch mit Unbehagen. Sie richtete an Gudrun herzliche Grüße aus und verabschiedete sich.
Den weiteren Abend gab sie sich alle Mühe, die Gedanken an den Lohbauern beiseitezuschieben. Als sie zu ihrer Kammer im Schuppen hinüberging, nahm sie sich eine Lampe mit. Am Morgen hatte sie auf dem Markt in Blankenheim ein Leseheft gekauft. Es war eine Liebesgeschichte, und sie wollte sich vorm Einschlafen noch für einige Minuten in die schönen Gefühle vertiefen, die mich solcher Lektüre einhergingen.
Sie stellte die Lampe auf den Nachttisch und wandte sich zum Stuhl, um Rock und Mieder abzulegen. Da durchfuhr
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