Das Maedchengrab
sog und wieder ausstieß. Kein Zweifel: Er war heftig betrunken. Wieder versuchte Fine zu schreien, doch ihre Stimme versagte.
»Mädchen!«, sagte er leise, fast flüsternd, und doch so bedrohlich, dass Fines Beine zitterten. Die Last seiner Hände auf ihren Schultern drückten sie beinahe in die Knie, aber noch hielt sie ihm stand. »Mädchen!«, er führte seine Finger unter den Rand ihres Schultertuchs. Seine Daumenkuppen berührten ihren Hals.
Fine fasste Mut. Sie drängte ihren Körper nah an seinen und riss mit aller Kraft ihr rechtes Knie hoch. Ihr Stoß landete in seinem feisten Unterbauch.
Offenbar war der Hieb kaum schmerzhaft, denn er verzog keine Miene. Jedoch erschrak er so sehr, dass der Druck seiner Hände auf ihren Schultern nachließ. Der Lohbauer geriet ins Torkeln. Für den Bruchteil einer Sekunde war es Fine, als würde sie von seinem schweren Körper zu Boden gerissen. Während er schwankte, riss sie sich los und rannte wie von Sinnen davon.
Zwei Minuten später erreichte sie Marjanns Haus. Erst dort blickte sie sich um. Die Straße lag ruhig und dunkel, als sei nichts geschehen. Sie schlug die Tür hinter sich zu, schob den Riegel vor und stand keuchend in der Küche. Nach wenigen Augenblicken kam Marjann aus der Schlafkammer, Fine warf sich ihr in die Arme. Und als sie sich ein wenig beruhigt hatte, berichtete sie sogleich, was sich ereignet hatte.
»Du gehst morgen zur Polizei«, meinte die alte Frau besorgt, nachdem sie zugehört hatte. »Unbedingt!«
Zwar zitterte Fine noch, doch sie konnte wieder klare Gedanken fassen. »Gerd hat morgen dienstfrei«, wandte sie ein. »Es ist doch seine Hochzeitsnacht.«
»Dann warte eben noch einen Tag. Oder geh morgen zu seinen Kameraden nach Blankenheim. Willst du heute Nacht hier auf der Ofenbank schlafen?«
»Nein«, entgegnete Fine mit Bestimmtheit. »Ich lasse mir keine Angst machen. Vom versoffenen Lohbauern nicht und von sonst keinem. Meinen Schuppen kann ich ja von innen verriegeln.«
Marjann nickte. »Gut, Kind. Lass dich von niemandem unterkriegen.«
Fine ging hinüber in ihre Schlafkammer. Dort lag sie noch einige Zeit wach. Denn so rasch, wie sie gewollt hätte, konnte sie die Ängste nicht beiseitedrängen. Und auch ihr schlechtes Gewissen quälte sie. Denn sie hatte Marjann zwar vom Übergriff des Lohbauern erzählt, nicht aber von der Vorgeschichte: dem aufgedrängten Taler und Bärbels Eintrag ins Tagebuch.
Erst weit nach Mitternacht schlummerte Fine ein.
Verliebt
Am frühen Morgen klopfte Marjann an die Schuppentür. Fine schlug die Augen auf. Die schönen, aber auch die schlimmen Erlebnisse des letzten Tages kamen ihr in den Sinn. Dennoch fühlte sie sich vom kurzen Schlaf erquickt und begann mit dem Fünfuhrschlagen der Kirchglocke ihren Dienst auf dem Oberlandhof.
Die Stimmung unter den Mägden war ausgelassen. Gemeinsam erinnerten sie sich an manche lustige Begebenheit auf der gestrigen Feier. So konnte Fine sich ablenken und verbrachte den Tag mit den üblichen Arbeiten. Über den Vorfall mit dem Lohbauern schwieg sie.
Am nächsten Tag ließ sie sich von der Großmagd schon am frühen Morgen zu einem Botendienst im Dorf einteilen.
Es war halb sieben, als sie an die Tür des frisch vermählten Paares klopfte. Gerd, der zuvor noch eine kleine Kammer bei seinen Eltern bewohnt hatte, war nun als Ehemann in Gudruns Haus eingezogen. Wie Fine erhofft hatte, traf sie ihn an, bevor er zum Dienst nach Blankenheim aufbrach.
Die jungen Eheleute strahlten vor Glück, inniger noch als während ihrer Verlobungszeit.
Gudrun aber erkannte Fines kummervollen Ausdruck. »Du kommst wohl nicht mit guter Nachricht?«, fragte sie einfühlsam.
Fine erzählte, was sich auf dem Heimweg von der Hochzeitsfeier ereignet hatte. Die Brautleute erschraken.
Zu dritt setzten sie sich an den Küchentisch, Gudrun stellte eine Tasse Malzkaffee und Milch vor Fine.
Jetzt, da sie die Einzelheiten benennen sollte, fühlte sie erneut das Entsetzen der vorletzten Nacht. Ihre Stimme zitterte, doch sie überwand ihre Angst und erzählte, woran sie sich erinnern konnte.
»Glaubst du, er hätte dich gewürgt, wenn du nicht weggelaufen wärest?« Gerd machte wieder Notizen in seine Kladde.
»Ich weiß es nicht.« Fine nahm einen großen Schluck Malzkaffee, bevor sie weiterreden konnte. »Aber seine Hände waren ganz nah an meinem Hals, er hätte leicht zudrücken können.«
»Und ein Messer hatte er nicht dabei?«
»Zumindest habe ich keins bemerkt. Er war
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