Das Maedchengrab
gleich wieder.
»Der Reiter soll einen großen, schwarzen Mantelsack bei sich gehabt haben«, ergänzte Gerd. »Ein großes Stück Tuch, das sich wohl auch als Umhang tragen ließe.«
»Solche schwarzen Mantelsäcke habe ich schon oft gesehen, davon gibt es sicher viele«, entgegnete Fine. Aber um jeden Verdacht von sich und dem Reiter abzuwenden, erzählte sie weiter: »Ich stand ja nur zum Luftschnappen am Weg und wollte gleich wieder hinein zu den anderen. Mit dem Reiter habe ich bloß kurz gesprochen. Ich weiß nur, dass er aus dem Badischen stammt. Und er ist auf einer Reise den Rhein entlang ans Meer. Danach muss er den Hof seiner Eltern übernehmen.«
»Seinen Namen hat er also nicht genannt?«, fragte Hauptmann Schmitz.
»Aber nein!«, entgegnete Fine. »Und ich meinen sicher auch nicht. Die Unterredung war doch nur ganz kurz.«
Gerd sah über sein Protokoll zu ihr hinüber. »Weißt du denn, wo er sein nächstes Quartier nehmen wollte?«
»Auch das nicht«, entgegnete sie mit Bestimmtheit. »Das hat er nicht erwähnt, und dafür habe ich einen Zeugen: nämlich den Pitterwirt.«
Gerd und der Wachleiter nickten dazu nur. Weil die Männer bei all dem freundlich blieben, fragte Fine, ob sie nun Basti besuchen dürfe.
»Das habe ich ja versprochen«, meinte Gerd. »Wir haben seine Aussage zu Protokoll genommen, und er verhält sich ruhig. Deswegen darfst du sogar allein mit ihm sprechen, aber nicht länger als eine Viertelstunde.«
Fine bedankte sich. Ein Wachmann führte sie in den Anbau, wo sich die Zellen befanden. Nur mit Mühe konnte sie seinen schnellen Schritten folgen und musste Acht geben, auf dem unebenen Steinboden nicht zu stolpern. Allein die Unterredung mit dem Postillon hatte sie verwirrt, und nun stand nicht nur Basti, sondern auch noch ihr fremder Reiter im Verdacht, Ullas Mörder zu sein. Doch es blieb keine Zeit, über all das nachzusinnen. Jetzt musste sie stark sein für ihren Bruder.
Zu Fines Erleichterung sah der Zellentrakt nicht so schlimm aus wie sie befürchtet hatte. Ruhig und kühl war es hier, die Wände schienen frisch geweißt, und durch die vergitterten Fenster drang Sonne. Zwei Zellen lagen auf diesem Flur, die linke davon war unbelegt, in der rechten hielt man Basti gefangen. Sobald er Fine erblickte, sprang er von seinem Strohsack auf. Der Wachmann ließ die beiden allein. So gut es ihnen durch die Gitterstäbe der Tür möglich war, umarmten die Geschwister sich.
Unter Bastis Augen lagen tiefe Schatten. Er bekomme gut zu essen und zu trinken, beteuerte er. Doch er war blass wie ein Geist, Fine verbarg ihren Schrecken.
»Gestern Abend hat man den Lohbauern hergebracht.« Basti wies nach links, von wo eine Tür in den nächsten Flur führte. »Seine Zelle ist weiter hinten.«
Fine nickte. »Sicher will man nicht, dass ihr euch absprechen könnt. Auch der Lohbauer ist verdächtig an Ullas Mord.«
»Das sollte mich doch freuen«, gab Basti spöttisch zurück. »Dann bin ich wenigstens nicht der Einzige. Jedenfalls hat der Lohbauer die ganze Nacht laut geheult und geklagt, das konnte ich hören.«
»Der Lohbauer geheult und geklagt? So ein reicher und starker Mann?« Fine senkte ihre Stimme und erzählte vom nächtlichen Überfall durch den Lohbauern und von Bärbels Tagebuch.
Basti bekam große Augen. »Kannst du dir denn vorstellen, dass er Ullas Mörder ist? Dass er mit ihr eine Liebschaft hatte? Und früher auch mit Lisbeth und Bärbel? Dass er alle drei ermordet hat, damit sie es nicht verraten konnten?«
»Das weiß ich nicht. Aber neulich habe ich nachts etwas bemerkt. Anfangs habe ich gedacht, meine Sinne trügen mich. Doch inzwischen glaube ich, der Mann war tatsächlich da.«
»Wer denn nur?! Sag schon!«
Da berichtete Fine über den nächtlichen Spaziergang vor einigen Tagen, bei dem sie so berauscht war von den Düften der Frühsommernacht. »Als ich zurückkehrte, sah ich einen Mann, der wohl gerade aus Marjanns Haus gekommen war und zur Straße ging. Er trug einen schwarzen Umhang.«
»Aber das muss doch die Polizei erfahren«, trotz aller Aufregung flüsterte Basti nun. »Geh zu Gerd! Erzähl ihm alles!«
»Ich weiß nicht, ob das klug wäre«, entgegnete Fine bedächtig. »Denn ganz sicher bin ich mir ja nicht, weil es noch dunkle Nacht war. Ich habe Angst, die Gendarmen unterstellen mir, dass ich mit dem, was ich sage, lediglich meinen Bruder schützen will. Und damit würde ich alles vielleicht noch schlimmer machen.« Einen Moment hielt sie
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