Das Maedchengrab
werde ich mein Lebtag nicht vergessen.« Wieder schluchzte er auf, Fine nahm seine Hände. Dies schien ihn zu erleichtern, denn gleich darauf begann er zu erzählen: »Das Messer habe ich vom Onkel, das hat er mir noch in Köln geschenkt. Aber je weiter wir von der Eifel fortkamen, umso mehr habe ich sein wahres Gesicht erkannt. Er ist nämlich nicht großzügig, sondern im Gegenteil: So geizig, als hätte er ein Sperrholz im Genick und einen steifen Daumen dazu. Ich will nicht wissen, wie es mir ergangen wäre, wenn ich ihm tatsächlich nach Amerika gefolgt wäre. Aber dazu ist es ja nicht gekommen.« Basti blickte zu Boden. Fine wollte ihm gut zureden, da fuhr er schon fort: »Wir waren eine Woche unterwegs, erst mit der Postkutsche nach Westfalen und dann auf der Weser bis nach Bremerhaven. Dort haben wir auf den Ozeandampfer gewartet und zwei Tage in einer Herberge übernachtet. Da ist etwas passiert.« Basti schluckte, doch er sah seine Schwester mit ruhigem Auge an. »Der Onkel wollte, dass ich mich zu ihm lege, ganz nah, weil es kalt war. Und dann hat er mich gestreichelt. Aber nicht wie ein Vater sein Kind, sondern anders.« Er sah das Entsetzen in Fines Miene und sagte rasch: »Es ist zum Glück nicht mehr passiert. Ich bin ja gleich fortgelaufen und habe mich durchgeschlagen bis nach Reetz zurück. Der Onkel hat mich gewiss nicht suchen lassen und wird es auch nicht mehr tun. Denn der Herbergsvater kann bezeugen, dass unser Ohm unbedingt eine Kammer mit nur einem einzigen Bett wollte für sich und mich. Und nicht mit zwei Betten, obwohl das nicht mehr gekostet hätte.« Basti atmete tief. »Also bin ich geflohen, und seit einigen Wochen nun wieder hier.«
»Einige Wochen schon?!« Vor Erstaunen blieb Fine der Mund offen stehen.
»Ja, im Wald beim Meiler. Der Köhlmattes und die Köhlgretel haben mich aufgenommen und nicht verraten. Auf die Gendarmen sind sie schlecht zu sprechen, weil der Mord an Lisbeth seit zwölf Jahren nicht geklärt ist. Irgendwann wollten sie mit mir ins Dorf und alles erzählen. Aber nicht so bald, denn ich hatte Angst, dass der Oberlandbauer mich auf seinen Hof holt. Ich möchte aber das Köhlerhandwerk lernen. Wenn ich darin erst einmal Geselle bin, wird mich wohl niemand mehr zum Bauernknecht machen.«
»Nicht einmal bei mir hast du dich gemeldet«, erwiderte Fine. Doch gleich darauf zog sie ihren Bruder zu sich und küsste ihn auf die Wange, als Zeichen dafür, dass sie es nicht böse meinte.
»Vorhin war ich im Wald Holz holen«, fuhr Basti zitternd fort, »für den Meiler. Da habe ich die Schreie gehört und bin hingelaufen.« Seine Stimme brach, wieder kamen ihm die Tränen.
Nach einigem Schweigen fragte Fine: »Aber diesen Mann? Hast du den erkannt?«
»Nein. Er war schon fast in den Wald verschwunden. Darum habe ich nur einen schwarzen Umhang mit Kapuze gesehen.«
Fine nickte traurig, sie hielt ihren Bruder fest umarmt, bis Gerd und ein weiterer Landjäger in den Schuppen kamen. Um Bastis Handgelenke banden sie ein Seil, er wehrte sich nicht.
»Wir behalten ihn vorerst auf der Wache«, erklärte Gerd der verzweifelten Fine. »Sorge dich nicht. Er ist ja erst dreizehn Jahre alt, und noch ist seine Schuld nicht bewiesen. Wir schließen ihn ein, aber mehr wird er nicht zu leiden haben.«
»Darf ich ihn denn besuchen?«
Gerd nickte. »Zwar nicht jeden Tag, aber doch einen um den anderen.«
So musste Fine mit ansehen, wie sie Basti abführten. Tapfer kämpfte er gegen seine Tränen an und versuchte noch, ihr zuzulächeln.
»Deine Unschuld kommt ans Tageslicht«, rief sie ihm nach und hatte selbst das Gefühl, der Boden unter ihren Füßen würde ihr entgleiten.
Zu fünft waren die Gendarmen tätig. Während zwei sich um Basti kümmerten, gingen die übrigen zum Forellenbach und betrachteten mit aller Genauigkeit die Stelle, an der sich die Gräueltat ereignet hatte. Dann nahmen sie Ulla mit. Ärzte in Bonn wollten das tote Mädchen untersuchen – wie zuvor schon Lisbeth und Bärbel.
Weil keine Zeit blieb, Ulla aufzubahren, kamen die Bauernfamilie und ihr Gesinde in der Küche zusammen. Sie zündeten Kerzen an und hielten Andacht. Liebevoll erinnerten sie sich der jungen Magd, die für alle Menschen ein freundliches Wort gehabt hatte und dabei fromm und arbeitsam gewesen war.
Anschließend sprach der Oberlandbauer zu Fine: »Du wirst ab sofort hier wohnen. Es ist zu gefährlich, dass du morgens und abends bei Dunkelheit zu Fuß unterwegs bist. Nur noch am
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