Das Magdalena-Evangelium: Roman
fragte sich Maureen.
Peter schüttelte den Kopf. »Vermutlich ist man sich nicht sicher, ob es tatsächlich sie darstellt.«
Das Gemälde war eine elegante, aber seltsame Darstellung eines jungen Mannes, der die Hand zu einer Frau in rotem Mantel ausstreckte. Sie standen sieben Frauen gegenüber, von denen drei recht ungewöhnliche und auf den ersten Blick nicht zusammenpassende Gegenstände in Händen hielten: So trug eine einen riesigen, bedrohlichen Skorpion und die Frau daneben einen Bogen. Die dritte wiederum hielt in seltsamem Winkel ein Architektenwerkzeug.
Peter dachte laut nach. »Die Sieben Freien Künste. Die höherrangigen Künste. Soll uns das sagen, dass es sich hier um einen sehr gelehrten jungen Mann handelt?«
»Was sind die Sieben Freien Künste?«, fragte Maureen.
Peter schloss die Augen, um sich besser an das, was er einmal gelernt hatte, erinnern zu können: »Zum Trivium oder den ersten drei Pfaden des Wissens zählen die Grammatik, die Rhetorik und die Logik. Die anderen vier, das Quadrivium, bilden die Arithmetik, die Geometrie, die Musik und die Kosmologie. Sie sind von Pythagoras inspiriert und seiner Vorstellung, dass sich alles, Raum und Zeit, in Zahlen ausdrücken lässt.«
Maureen lächelte ihn an. »Wirklich beeindruckend. Und wie jetzt weiter?«
Peter zuckte mit den Schultern. »Ich weiß allerdings nicht, wie das in unser immer größer werdendes Puzzle passt.«
Maureen deutete auf den Skorpion. »Warum ist auf einem Hochzeitsbild eine Frau mit einem großen, giftigen Insekt abgebildet? Welche der Freien Künste stellt das dar?«
»Erst einmal ist ein Skorpion kein Insekt, sondern ein Spinnentier;aber zu deiner Frage: Ich bin nicht sicher.« Peter war so nahe an das Fresko herangetreten, wie die Absperrung es ihm gestattete, und beugte sich vor. »Aber schau dir das mal genauer an. Der Skorpion ist dunkler und wirkt lebendiger als der Rest des Bildes. Das gilt für all diese Gegenstände. Fast sieht es so aus, als …«
Maureen beendete den Satz für ihn: »… als wären sie später hinzugefügt worden.«
»Aber von wem? Von Sandro selbst? Oder hat irgendwer am Fresko des Meisters herumgepfuscht?«
Maureen schüttelte den Kopf. Das alles hatte sie vollkommen verwirrt.
Über einem Milchkaffee im Coffeeshop des Museums ging Maureen mit Peter ihre Einkäufe durch. Sie hatte sich im Museumsladen sowohl Drucke der relevanten Gemälde gekauft wie auch ein Buch über Leben und Werk Botticellis.
»Ich hoffe, mehr über den Ursprung dieses Freskos herauszufinden«, erklärte sie.
»Ich bin eher daran interessiert, mehr über die Stimme herauszufinden, die dich zu dem Fresko geführt hat.«
Maureen nippte an ihrem Kaffee, bevor sie erwiderte: »Aber was war das? Mein Unterbewusstsein? Göttliche Führung? Wahnsinn? Die Geister des Louvre?«
»Ich wünschte, ich könnte dir das beantworten, aber ich kann nicht.«
»Du bist ja ein toller geistiger Beistand«, scherzte Maureen und richtete ihre Aufmerksamkeit auf den Druck von Botticelli, um ihn aus der Verpackung zu holen. Als das von der Glaspyramide gebrochene Licht auf den Druck fiel, kam Maureen die Erleuchtung.
»Moment mal. Hast du nicht gesagt, die Kosmologie sei eineder Freien Künste?« Maureen blickte auf ihren Finger mit dem Kupferring.
Peter nickte. »Astronomie, Kosmologie. Das Studium der Sterne. Warum?«
»Mein Ring. Der Mann, von dem ich ihn in Jerusalem bekommen habe, hat gesagt, es sei ein kosmologischer Ring.«
Peter wischte sich mit der Hand übers Gesicht, als könne er so sein Gehirn zu einer Lösung anregen. »Und wo ist da die Verbindung? Sollen wir in den Sternen nach einer Antwort suchen?«
Maureen zeigte mit dem Finger auf die rätselhafte Frau mit dem großen schwarzen Skorpion, und fast wäre sie von ihrem Stuhl gesprungen, als sie rief: »Scorpio!«
»Bitte?«
»Das Symbol für das Sternzeichen: der Skorpion. Und die Frau daneben hält einen Bogen. Das Symbol des Sagittarius, des Schützen. Scorpio und Sagittarius stehen im Tierkreis unmittelbar nebeneinander.«
»Dann glaubst du also, dass sich in dem Fresko irgendein astronomischer oder astrologischer Kode verbirgt, korrekt?«
Maureen nickte bedächtig. »Wenigstens hätten wir damit einen Ausgangspunkt.«
Die Lichter von Paris fielen durch das Fenster von Maureens Hotelzimmer und auf die Gegenstände, die auf ihrem Bett lagen. Sie war beim Lesen des Buchs über Botticelli eingeschlafen, und auf der anderen Seite lag der Druck von
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