Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
Colombina hatte sich bereits eine ausgedacht – nicht, um Niccolò zu decken, sondern um Lorenzo nicht zu belasten. Er hatte schon genug Sorgen. Außerdem glaubte sie, dass es ihrem Mann aufrichtig leidtat. Niccolò mochte ein Prahlhans sein, aber er war kein vonGrund auf böser Mensch. Colombina war überzeugt, dass er sie nie wieder schlagen würde. Sie musste ihm vergeben, denn dies war der Weg der Liebe. Überdies würde er in Kürze wieder in See stechen. Sie musste nur Geduld haben.
Darauf bedacht, den Turm in Gesellschaft anderer zu betreten, sodass sie Lorenzo nicht allein begrüßen musste, war Colombina sich jedoch bewusst, dass sie ihm früher oder später Rede und Antwort stehen musste. Als Lorenzo auf sie zukam, um ihr den Begrüßungskuss zu geben, verharrte er mitten in der Bewegung und fuhr ihr mit dem Zeigefinger behutsam über die Wange, ehe er in täuschend sanftem Tonfall fragte: »Was ist denn da passiert, Colombina?«
Sie konnte ihm nicht in die Augen sehen und lügen, also senkte sie den Blick. »Ach, nichts. Eine achtlose Dienstmagd hat den Boden nicht trocken gewischt. Es stand noch Wasser auf dem Marmor. Da bin ich ausgerutscht und mit dem Gesicht auf die Treppenstufen gestürzt.«
Lorenzo sagte nichts. Stattdessen drückte er mit dem Zeigefinger sanft ihr Kinn hoch und zwang sie, ihn anzuschauen. Einen Moment blickte er ihr tief in die Augen. Columbina erbebte unter seinem Blick. In all den Jahren hatten sie nie einen richtigen Streit gehabt. Ihre Liebe war so stark und selbstlos, dass nie eine Lüge oder ein Verrat zwischen ihnen gestanden hatte. Doch nun loderten Lorenzos dunkle Augen wie glühende Kohlen. Dann ließ er sie los und ging davon. Den Rest des Abends saß er auf der anderen Seite des Zimmers und weigerte sich, mit ihr zu sprechen. Er war übel gelaunt und trug wenig zum Gespräch bei. Wenn er etwas sagte, dann knapp und unwillig. Für jeden war ersichtlich, dass Il Magnifico sich in gereizter Stimmung befand, und die Versammlung endete ohne den üblichen geselligen Teil am Schluss.
Als die Gesellschaft auseinanderging, blickte Colombina quer durchs Zimmer zu Lorenzo. Ihre Augen standen voller Tränen. Es war schrecklich, ihn so bedrückt zu sehen, und noch schrecklicher,dass sie der Grund dafür war. Sie sah, wie seine Brust sich unter einem tiefen Seufzer hob, als er endlich zu ihr kam. Er zog sie in einen Winkel und sprach mit leiser, beinahe flüsternder Stimme zu ihr, die im Widerspruch zu seinen harschen Worten stand.
»Lucrezia …«
Dass Lorenzo ihren Taufnamen benutzte, war schlimmer als jeder Schlag, den Colombina von Niccolòs Hand erduldet hatte. Seit jenen frühen Tagen im Wald hatte Lorenzo sie nie anders genannt als Colombina, auch in der Öffentlichkeit. Falten waren in sein Gesicht gegraben, und er sprach langsam und betont.
»Ich verstehe, dass du mich anlügen musstest, aber ich bete, dass du es nie wieder tust. Es gibt nur wenige Menschen, denen ich vollkommen vertraue, und ich könnte es nicht ertragen, wenn du nicht mehr dazugehörst.«
Mit dem Instinkt der Liebenden streckte Colombina die Hand nach ihm aus. »Lorenzo, bitte …«
Doch an diesem Abend gab es keine Zärtlichkeiten für sie, nicht von einem Mann, der mit dem Dämon des Hasses rang. Lorenzo hob die Hand, sanft, aber nachdrücklich, damit sie nicht näher kam.
»Ich bin noch nicht fertig. Ich habe eine Botschaft für deinen Ehemann, und ich bitte dich, dass du sie so überbringst, wie ich es dir jetzt sagen werde. Richte Niccolò aus, dass du heute Abend mit mir zusammen warst – es ist ja nicht zu übersehen, dass er davon weiß. Und sag ihm weiter, dass Lorenzo heute Abend einen Eid vor Gott geschworen hat. Sag ihm: Wenn er dich jemals wieder schlägt, bringe ich ihn um.«
Kapitel einundzwanzig
Florenz, Antica Torre
Gegenwart
M a ureen weinte, als Destino die Geschichte von Lorenzo und Colombina erzählte, von der Qual ihrer erzwungenen Trennung. Nachdem Destino gesehen hatte, wie tief Maureens Verbindung zu Colombina ging, hatte er sie in Petras Wohnung bestellt.
»Die Zeit kehrt wieder, nicht wahr?«, sagte sie zu ihm. »Colombina und Lorenzo konnten nicht auf traditionelle Weise zusammen sein, weil die Umstände es nicht zuließen. Und dasselbe trifft auf Berenger und mich zu. Immer wieder der gleiche Kreislauf: Jesus und Magdalena, Mathilde und Gregor, Lorenzo und Colombina. Und nun werden Berenger und ich nicht so zusammen sein können, wie wir es uns erträumt
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