Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
hatten. Auch wir sind eines dieser Paare, das von Umständen getrennt wird, die wir hinnehmen müssen. Ist das also jetzt meine Prüfung?«
»Was sehen Sie als Ihre Prüfung an?«
»Kann ich so selbstlos sein wie Colombina? Kann ich hinnehmen, dass Berenger der Dichterfürst ist – der einen weiteren Dichter großziehen muss – und dass dies für die Welt wichtiger ist als unser Glück?« Beim Weitersprechen kämpfte sie gegen die Tränen an. »Aber warum? Das möchte ich gern wissen, Meister. Warum?«
Destino hatte diese Frage im Laufe der Jahrhunderte schon unzählige Male gehört, hatte sie aber nie direkt beantwortet. Es war nicht seine Aufgabe, seinen Schülern die Antworten auf dem Silbertablett zu servieren, denn auf diese Weise lernten sie nichtsund machten keine Wandlung der Seele durch. Sie mussten die Antworten selbst herausfinden und ihre eigenen Entscheidungen treffen. Immer wieder hatte er den Schmerz erduldet, seine Lieblinge scheitern zu sehen. Er betete, dass dies nicht wieder geschehen möge.
»Aber verstehen Sie nicht, meine Liebe, genau darum geht es ja. Die Zeit kehrt zwar wieder – aber sie muss nicht. Man hat die Wahl.«
Verwirrt schüttelte Maureen den Kopf. »Da komme ich nicht mit.«
Destino erklärte, so gut es ging. Er war bemüht, Wissen weiterzugeben, aber keine wohlfeilen Antworten. »Wenn ich einen der Hauptgründe anführen sollte, warum unser großer Plan für die Renaissance scheiterte, würde ich die erzwungene Trennung von Lorenzo und Colombina nennen.«
Maureen war erschüttert. »Wirklich? Mehr noch als Politik, Macht oder Religion?«
»Ja, denn ihre Trennung wurde von all diesen Faktoren erzwungen. Hätten die Medici dafür gekämpft, dass Lorenzo um der Liebe willen heiraten konnte statt aus Gründen von Macht und Allianzen, sähe die Welt heute vielleicht anders aus. Natürlich wären die Donati gegen diese Verbindung gewesen, aber meiner Überzeugung nach hätte man sie kaufen können. Doch Piero war schwach, und Cosimo war krank; deshalb haben wir nicht mit aller Macht auf diese Ehe gedrängt. Wir – und nur wir – sind für Lorenzos Scheitern verantwortlich. Wir haben uns nicht für die Macht der Liebe eingesetzt.«
Maureen lauschte, während sie gegen Schmerz und Verzweiflung ankämpfte. »Was wollen Sie damit sagen? Dass die Zeit wiederkehrt, aber nicht wiederkehren sollte? Dass sie nur deshalb wiederkehrt, weil wir immer wieder den gleichen Fehler machen?«
»Ich sage nur, was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht trennen.«
Der Morgen war strahlend schön. Tammy und Maureen wandten sich am Ponte Santa Trinità nach links, um am Ufer des Arno entlangzuspazieren. Sie wollten den Fluss auf dem Ponte Vecchio überqueren, jener malerischen und geschichtsträchtigen Kaufmannsbrücke, die zu den beliebtesten Florentiner Sehenswürdigkeiten zählt.
Sie wollten auf die andere Seite des Arno, um die Chiesa di Santa Felicita zu besuchen, jene Kirche, von der die Kunststudentin in den Uffizien gesprochen hatte. Maureen und Tammy waren lange aufgeblieben und hatten über Maureens Lektion bei Destino gesprochen, die ihnen Rätsel aufgegeben hatte. Berenger hatte gestern fünfmal angerufen, aber Maureen hatte noch nicht mit ihm gesprochen. Sie musste sich erst überlegen, was sie tun sollte, bevor sie sich für einen Weg entschied. Und noch immer war sie unsicher. Ein Spaziergang am Arno schien ein guter Beginn für den Tag zu sein. Unterwegs setzten sie ihr Gespräch fort.
»Colombina gab sich damit zufrieden, Lorenzos Geliebte zu sein. Sie kam dann mit ihm zusammen, wenn er Zeit für sie hatte. Ich weiß nicht, ob ich auch so selbstlos sein könnte.«
»Colombina musste ja auch nicht mit diesem unerträglichen Miststück Vittoria klarkommen«, gab Tammy zu bedenken.
Maureen blieb unvermittelt stehen und blickte auf den Fluss, wo die Sonne das Spiegelbild des Ponte Vecchio im Arno vergoldete.
»Und sie musste auch nicht mit der Wiederkunft Christi in Wettstreit treten.«
»Das musst du auch nicht.«
»Was meinst du damit? Glaubst du etwa nicht an die Prophezeiungen?«
Tammy zuckte die Achseln. »An die Prophezeiungen schon, aber nicht an Vittoria. Irgendetwas ist faul in Florenz, aber ich kann nicht sagen, was es ist. Ist bloß so eine Ahnung.«
Sie unterbrachen ihr Gespräch, weil sie sich ihrem Ziel näherten. Die Santa Felicita war die zweitälteste Kirche der Stadt; ihre Ursprünge reichten bis ins vierte Jahrhundert zurück. Die Kirche war
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