Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
glücklich sie doch war, dass sie ihn gefunden hatte, und wie reich ihr Leben durch die Lehren des Ordens geworden war. Würden doch auch jene Frauen, die niemals dieses Glück erfahren hatten, das Gefühl von Liebe und Gleichheit zwischen Mann und Frau erleben! Das war eines der Ziele des Ordens und Colombinas großer Traum: eine Zeit heraufzubeschwören, in der man arrangierte Ehen als Verbrechen gegen die Frauen ansehen würde; eine Zeit, in der Töchter nicht mehr als Bauernopfer im Spiel um Reichtum und Macht dienten.
Als Colombina in die Straße einbog, in der ihr Stadthaus lag, blieb sie wie angewurzelt stehen. In Niccolòs studiolo brannte Licht. Warum war er schon so früh zu Hause? Sie musste sich rasch etwas ausdenken, um ihre Abwesenheit zu erklären. Colombina wusste, dass es riskant war, Lorenzo während Niccolòs Anwesenheit zu treffen, doch viel schmerzlicher war es, zu lange von ihrem Liebsten getrennt zu sein.
Nun biss sie die Zähne zusammen und betrat das Haus, wobeisie betete, dass Niccolò mit einer Karte oder dem Plan für eine neue Reise beschäftigt sein möge.
»Wo bist du so spät noch gewesen?«
Es war Niccolò, und er war betrunken.
»Ich war mit den Frauen der Gianfigliazza zusammen. Wir haben das Fest am Johannistag vorbereitet. Wir hatten so viel zu tun, dass ich gar nicht bemerkt habe, wie schnell die Zeit verging. Es tut mir leid, Nico. Kann ich dir etwas bringen? Wein? Komm, trink einen Wein mit mir, und erzähle mir, wie dein Abend war.«
Normalerweise war er leicht abzulenken, aber nicht heute. Irgendetwas – oder irgendwer – hatte Niccolò Ardinghelli rasend gemacht.
»Du … bist … eine Lügnerin!«, brüllte der Seefahrer und schlug so hart zu, dass Colombina taumelte. Er verfolgte sie durch die Halle, wobei er sie derb beschimpfte. »Glaubst du vielleicht, ich weiß nicht, wo du warst, du läufige Hündin? Wo du steckst, wenn ich nicht in der Stadt bin? Denkst du, ich weiß nicht, dass du jede Gelegenheit nutzt, um mit dem Medici herumzuhuren – und das seit Jahren?«
Wieder schlug er zu. Diesmal ging Colombina zu Boden.
Sie kämpfte sich hoch. Stolz und Verachtung spiegelten sich auf ihrem Gesicht. Sie stellte sich vor ihren Mann und sagte mit Nachdruck: »Ich hure nicht mit dem Medici herum. Ich gebe mich ihm aus freien Stücken hin. Ich habe es getan, und ich werde es immer tun. Lorenzo gehört mein Herz. Warum soll ihm dann nicht auch mein Leib gehören?«
Niccolò starrte sie trunken und fassungslos an. Er blinzelte, suchte in seinem umnebelten Hirn nach Argumenten. »Weil … weil du meine Frau bist.«
»Eben hast du gesagt, ich sei eine Dirne.«
»Weil du dich so benimmst!«
Nun gab Lucrezia zum ersten Mal der Bitterkeit Ausdruck, die sich während der erzwungenen Jahre mit Niccolò aufgestaut hatte. »Vielleicht hast du in einem Punkt recht: Eine Hure gehtmit einem Mann ins Bett, weil sie überleben muss und weil ihr keine andere Wahl bleibt. So gesehen, bin ich deine Hure!«
Niccolò brabbelte eine Weile vor hilfloser Wut vor sich hin, aus der Fassung gebracht von einem Trotz, den er noch nie bei einer Frau erlebt hatte, schon gar nicht bei seiner eigenen. Schließlich holte er aus, blind vor Zorn, und versetzte Colombina einen Faustschlag ins Gesicht. Dann rannte er davon, entsetzt über seine Tat, und schloss sich in seinem Arbeitszimmer ein. Colombina stand mühsam auf und berührte mit den Fingern vorsichtig die Stelle, die seine Faust getroffen hatte. Sie trat vor den Spiegel, der in der Eingangshalle hing, und betrachtete die Verletzung. Niccolòs Hieb würde eine Strieme und einen großen Bluterguss auf ihrem Wangenknochen hinterlassen, der noch tagelang zu sehen sein würde. Und in drei Tagen war eine Versammlung des Ordens anberaumt.
Drei Tage später erschien Colombina auf der Versammlung des Ordens in der Antica Torre. Niccolò war ihr seit dem Abend, an dem er sie geschlagen hatte, aus dem Weg gegangen, denn er fühlte sich schuldig, zornig und gedemütigt zugleich. Das Gute daran war, dass sie nun zur Versammlung gehen konnte, ohne ihn um Erlaubnis fragen zu müssen.
Colombina hatte ihr Bestes getan, um die Spuren seines Schlages zu mindern; sie hatte ihr Gesicht mit Eis gekühlt und ein Öl des Apothekers angewendet. Der Bluterguss war zwar zurückgegangen, aber noch immer als blasser lila Schatten zu erkennen, der unmöglich zu kaschieren war. Sie wusste, dass Lorenzo es sofort bemerken und eine Erklärung verlangen würde. Und
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