Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
voran die Medici. Lorenzos Platz war vorn rechts, gegenüber vom Altar. Er würde der Messe heute mit seinen engsten Freunden und seinem Bruder beiwohnen und nicht mit seiner Familie, da das Hochamt im Dom zu Florenz einem Staatsakt vergleichbar war. Lorenzos Mutter, seine Ehefrau und die Kinder würden die Messe in ihrer »Heimat«-Basilika San Lorenzo besuchen.
Franceschino de Pazzi sah Lorenzo mit Angelo Poliziano in den Dom kommen. Er hielt nach Giuliano Ausschau und bekam es mit der Angst zu tun, da er die hochgewachsene, unverwechselbare Gestalt des jüngeren Medici nirgends erblicken konnte. De Pazzi trat auf Lorenzo zu, der ihm mitteilte, Giuliano leide große Schmerzen und habe beschlossen, auf den Marsch zum Dom zu verzichten, um sein verletztes Bein zu schonen.
Franceschino de Pazzi legte die Strecke zwischen dem Dom und dem Palazzo Medici im Laufschritt zurück. Er wurde von Madonna Lucrezia empfangen, die sich für den eigenen Kirchgang mit ihren Enkeln fertig machte. Atemlos teilte de Pazzi ihr mit, der junge Kardinal Riario habe gefragt, wo Giuliano denn nur sei. Noch sei genügend Zeit, zur Messe zu kommen, ohne die Familie des Papstes zu brüskieren. Lucrezia gestattete de Pazzi, mit Giuliano zu sprechen. Ihr Sohn war ein erwachsener Mann und in der Lage, seine eigenen Entscheidungen zu treffen.
Franceschino de Pazzi kannte den Charakter Giulianos gut, so wie jeder in Florenz. Der jüngere Medici war bekannt für sein nachgiebiges Naturell und seine untadeligen Manieren. Und auf genau diese Eigenschaften baute de Pazzi, als er nun auf Giuliano einredete.
»Der Kardinal ist mit seinen siebzehn Jahren der jüngste in einer Familie mächtiger Brüder. Er meint, Ihr könntet ihm wertvollen Rat erteilen, wie man in die Fußstapfen seiner großen Ahnherren treten kann und dem erhabenen Ruf seiner Familie gerecht wird. Übrigens wird der Papst Lorenzo in Zukunft gewiss freundlicher gesinnt sein, wenn Ihr seinem Lieblingsneffendiesen kleinen Gefallen erweist. Bloß ein paar Minuten nach dem Hochamt, und Ihr liegt schneller wieder im Bett, als Ihr Euch verseht.«
Giuliano seufzte tief. Tatsächlich ging es seinem Bein heute viel besser, und er war durchaus fähig, zum Dom zu gehen, wenn auch humpelnd. Aber er hatte gehofft, früh nach Fiesole zu kommen, weil er sich so unbändig auf Fioretta und das Kind freute. Doch wenn er Franceschinos Worten Glauben schenken durfte, war dem Neffen des Papstes so sehr an einer Begegnung gelegen, dass er unbedingt zum Hochamt gehen musste. Vor allem würde es Lorenzo zugute kommen, in der päpstlichen Familie einen Verbündeten zu haben. Außerdem gab es viele Dinge, für die Giuliano Gott danken musste, sodass eine Stunde auf den Knien zur Feier der Auferstehung des Herrn das Mindeste war. Er hatte bereits Gewissensbisse gehabt, weil er die Messe versäumen würde. Vielleicht hatte Gott ihm eigens Franceschino de Pazzi gesandt, um dafür zu sorgen, dass er heute zur Kirche ging.
Beim Ankleiden fiel Giuliano ein, dass heute der sechsundzwanzigste April war. Vor genau zwei Jahren war die liebliche Simonetta von ihnen gegangen. Was hatte Lorenzo noch gesagt? »Der sechsundzwanzigste April wird immer ein Tag der Trauer für uns sein.« Also würde er heute beim Hochamt für die Seele Simonettas beten und für die Familien Cattaneo und Vespucci, die immer noch um sie trauerten.
Rasch kleidete er sich an und war ein wenig überrascht, als Franceschino ihn heftig umarmte, als er aus seinen Gemächern kam, und seine Freude darüber kundtat, dass der jüngere Medici sich kräftig genug fühlte, ihn an diesem schönen Tag zu begleiten. Der arglose Giuliano konnte nicht wissen, dass Franceschino ihn bei der innigen Umarmung auf Waffen und Harnisch abgetastet hatte. Doch weil Giuliano sich so rasch angekleidet hatte und aufgrund seines geschwächten Zustands kein zusätzliches Gewicht am Körper tragen wollte, hatte er beschlossen, auf die Staatstracht zu verzichten und sämtliche Waffen zu Hause zu lassen. Lorenzoselbst würde sie natürlich tragen, und zwar feierlich, und er würde die Familie repräsentieren, wie er es immer tat.
Giuliano humpelte die Via Larga entlang auf den Dom zu, dessen rote und grüne Fassade in der Sonne leuchtete. Die riesige rote Backsteinkuppel mit den Marmorrippen hieß an diesem heiligen Tag alle Florentiner zum Gebet willkommen.
Sie traten durch das Hauptportal ein, doch der Dom war bereits voll, und sämtliche Plätze um Lorenzo herum waren
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