Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
Bracciolini wurde auch Franceschino de Pazzi aus dem Fenster des Palazzo geworfen und baumelte dort an einer improvisierten, aber wirksamen Henkersschlinge.
Während der Mob regierte und Gerüchte sich verbreiteten, wurden zunehmend Stimmen laut, die wissen wollten, ob Lorenzo noch am Leben war. Hunderte von Menschen marschierten durch die Straßen auf den Palazzo Medici zu und riefen im Chor: »Magnifico! Magnifico!« Stetig wuchs die Menge an. Die Rufe wurden immer lauter, die Sorge um Lorenzos Zustand immer größer.
Im Haus der Medici wurden rasch Pläne geschmiedet, Clarice und die Kinder so schnell und leise wie möglich aus Florenz in eines der Landhäuser zu schaffen. Lorenzo wollte nicht, dass seine Familie in der Stadt blieb, denn das Chaos würde unvermeidlich immer weiter um sich greifen, bis die ganze Wahrheit über den Schreckenstag und die Täter allgemein bekannt wurde. Er betete, dass auch seine Mutter aufs Land fahren sollte, und wusste doch, dass sie es nicht tun würde. Lucrezia hatte einen Schock erlitten und kein Wort mehr gesprochen, seit sie gehört hatte, dass Giuliano, ihr Kleiner, grausam ermordet worden war.
Lorenzos Leibarzt, der durch die Hintertür des Palazzo eingelassen worden war, untersuchte sorgfältig die Wunde.
»Ihr seid wirklich ein Liebling Gottes«, meinte der Arzt und schüttelte ungläubig den Kopf. »Normalerweise überlebt man einen Stich in den Hals nicht. Aber schaut Euch das hier an.«
Er hielt ein Stück Silberkette hoch, das er aus der Wunde entfernt hatte. Daran hing, blutbefleckt, das Medaillon mit der Reliquie vom Wahren Kreuz, das Lorenzo als Kind bekommen hatte. Das Artefakt war für ihn aufbewahrt worden, bis er alt genug war, dass er dessen Wert zu würdigen wusste: Es war ein Geschenk von König René d’ Anjou, das einst Jeanne d’ Arc gehört hatte.
»Wie es scheint, hat das Messer zwar die Kette durchtrennt, aber die Klinge wurde vom Medaillon abgelenkt und drang deshalbhöher in den Hals ein, oberhalb der Schlagader. Dieser Anhänger hat Euch vermutlich das Leben gerettet.«
Florenz war in hellem Aufruhr. Unruhe und Chaos breiteten sich aus, weil die Menschen aufgrund der widersprüchlichen Gerüchte, die durch die Stadt schwirrten, verwirrt waren. Hunderte hatten sich um den Palazzo in der Via Larga versammelt; die Menschen wollten wissen, ob Lorenzo noch lebte.
Angelo wurde zum Verbindungsmann zwischen Straße und Palazzo. Er berichtete der Menge, dass Lorenzo sich in der Obhut des Arztes befinde, und bat die Menschen, weiterhin für Lorenzos Überleben zu beten. Doch je später es wurde, umso erregter wurde die ständig wachsende Menge. Die Leute wollten Lorenzo sehen. Bald riefen sie nach ihm.
Während der Arzt Lorenzo einen Wundverband anlegte, wurden Colombina und Fra Francesco eingelassen. Colombina fiel vor Lorenzo auf die Knie, nahm seine Hand und weinte vor Erleichterung.
»Lorenzo, Gott sei Dank! Du lebst!«
Er streichelte ihr übers Haar und fragte unter Tränen: »Weißt du schon, was Giuliano geschehen ist?«
Colombina nickte, brachte aber kein Wort hervor. Die Trauer über Giulianos Tod und die Erleichterung über Lorenzos Errettung überwältigten sie.
Lorenzos nächste Frage war an den Meister gerichtet. »Wie kann ich diese Geschehnisse mit den Lehren des Ordens vereinbaren, Meister? Wo war Gott, als mein Bruder heute zur Messe ging, um für die Wiederauferstehung Jesu zu beten und Gottvater für sein Leben zu danken? Warum musste mein unschuldiger Bruder sterben?«
Fra Francesco, der in seinem Leben mehr Schrecken und Gewalt gesehen hatte, als ein Mensch ertragen sollte, legte Lorenzobesänftigend eine Hand auf die Schulter. »Ich kann dir nur so viel sagen, mein Sohn: Es ist leicht, den Glauben zu bewahren, wenn das Leben gut ist, aber es ist schwer, im Unglück den Glauben nicht zu verlieren. Ich kann dir nicht sagen, warum Giuliano sterben musste, aber es ist offensichtlich, dass Gott eingegriffen und dich beschützt hat. Statt also Gott zu verfluchen für das, was er unterließ, will ich ihn preisen für das, was er getan hat. Ich bin dankbar, dass Madonna Lucrezia am heutigen Tag nicht den Tod beider Söhne beweinen muss. Und dem Lärm nach zu schließen, ist ganz Florenz der gleichen Ansicht.«
Lorenzo nickte und flüsterte: »Ich bin dankbar, am Leben zu sein, Meister. Doch es wird einige Zeit dauern, bis ich die Lehre der Liebe auf jene Männer anwenden kann, die den Mord begangen haben.«
»Und doch ist es
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