Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
Memoiren des Sandro Botticelli
Kapitel siebenundzwanzig
Florenz
Gegenwart
B a ld nach Giulianos Ermordung im Dom belegte Papst Sixtus Lorenzo mit dem Kirchenbann.« Destinos Lehrstunde an diesem Abend richtete sich an alle, die in Petras Salon versammelt waren: Maureen und Peter, Roland und Tammy sowie Petra selbst.
»Aus welchem Grund?«, wollte Peter wissen.
»Weil er den Anschlag überlebt hat. Lachen Sie ruhig – es ist ja auch lächerlich. Aber es ist die Wahrheit. Dass Lorenzo es gewagt hatte, das Attentat zu überleben, machte Sixtus so wütend, dass er Lorenzo exkommunizierte. Und als die Florentiner Bürger den Bannfluch gegen Il Magnifico nicht anerkennen wollten, belegte Sixtus die gesamte Republik Florenz mit dem päpstlichen Bann.«
»Was?«, riefen alle ungläubig aus.
Peter, der ehemalige Priester, protestierte: »Man kann nicht eine ganze Stadt unter den Kirchenbann stellen! Schon gar nicht, weil ein Bürger dieser Stadt exkommuniziert wurde!«
»Ja, ich weiß, dass es absurd ist. Aber alles, was dieser Papst getan hat, war ähnlich verdreht. Doch er kam immer damit durch. Da der Papst uneingeschränkte Autorität besaß und unfehlbar war, konnte er tun, was er wollte – und das tat Sixtus auch. Jetzt können Sie vielleicht verstehen, warum es Lorenzo immer wichtig war, die absolute Macht des Papstes zu brechen, während er gleichzeitig nach Möglichkeiten suchte, die Struktur der katholischen Kirche ins Wanken zu bringen.«
»Was geschah dann?«, fragte Roland. »Haben die Florentiner das Interdikt akzeptiert?«
»Natürlich nicht. Für die Florentiner war Sixtus ein Verbrecher; deshalb hatten weder seine Worte noch seine Taten Einfluss auf den Florentiner Durchschnittsbürger. Die Signoria sandte dem Papst einen Brief, in dem sie ihm mitteilte, sie würde lieber Lorenzo folgen als ihm. Es war die höchste Kränkung, die sie aussprechen konnte! Ich wünschte, ich hätte Sixtus’ Gesicht gesehen, als er dieses Schreiben erhielt.«
»Die Geschichte von Giuliano und Fioretta ist sehr traurig«, warf Tammy ein. »Dennoch liegt etwas Schönes darin, dass beide am selben Tag starben.«
»Sie waren Zwillingsseelen«, erklärte Petra. »Sie verließen diese Welt gemeinsam, und ich bin sicher, dass sie im Himmel sogleich wieder vereint wurden.«
Peter hatte das Libro Rosso im Hinblick auf »Seelenzwillinge« durchforscht. Die Vorstellung, dass jede Seele ihren Zwilling besaß, faszinierte und verwirrte ihn; vor allem aber fand er sie beunruhigend.
»Sie wollen also behaupten, dass alle Menschen einen Seelengefährten besitzen? Als ich die Legenden von Salomon und der Königin von Saba im Libro Rosso las, bin ich mehrmals auf den ›Gefährten der eigenen Seele‹ gestoßen. Gibt es denn für jeden Menschen auf Erden eine Zwillingsseele?«
Petra schaute Peter lange an, während ein leises Lächeln ihre Lippen umspielte. Als sie antwortete, klang ihre Stimme so sanft, wie man es bislang noch nicht von ihr gehört hatte. »Ja, Peter. Jede Seele, ohne Ausnahme, besitzt ihren Zwilling und perfekten Gefährten. Dennoch kann es geschehen, dass wir nicht im gleichen Leben wiedergeboren werden – das hängt von der Aufgabe des Einzelnen ab. Nehmen wir zum Beispiel Sandro Botticelli. Er lebte nicht, um seine Seelengefährtin zu finden, sondern war darauf bedacht, seine Mission als Einzelperson zu vollenden. Sandros wahre Liebe und Leidenschaft war die Kunst, deshalbwar er so fruchtbar. Das trifft auf viele der Himmlischen zu, zum Beispiel auf Donatello und Michelangelo.
Die Hingabe an die Liebe und an einen anderen Menschen ist eine ganz besondere Aufgabe, und für manche ist sie Teil ihrer Mission auf Erden – oder die Mission als solche. Für andere Seelen jedoch wäre sie eine Ablenkung. Die Schönheit dieses Konzepts liegt ja gerade darin, dass derjenige, der seinen Seelengefährten zu finden hofft, auch zum Ziel gelangt, denn es gibt eine verwandte Seele für ihn. Wer jedoch kein Interesse an seinem Gegenstück hat, der findet auch niemanden, denn seine Mission im Leben ist eine andere. Destino wird Ihnen berichten, dass Sandro einer der zufriedensten Menschen überhaupt war. Und er war allein, vollkommen allein. Und damit war er glücklich, denn alles andere hätte seine Kunst gestört.«
»Sandro hatte also keine Seelengefährtin? Obwohl das ein so entscheidender Bestandteil Ihrer Lehre ist?« Peter haderte immer noch mit dem Konzept.
»Engel sind nicht leicht zu verstehen,
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