Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
krächzenden Stimme. Von Angesicht zu Angesicht wirkte der kleine, leicht bucklige Mann viel weniger einschüchternd als oben auf der Kanzel.
»Warum?«
»Weil ich gehört habe, dass er im Sterben liegt.«
»Das ist nicht wahr. Krank ist er, das stimmt, aber Cosimo ist es ähnlich ergangen, und er hat noch jahrelang gelebt. Auch Lorenzo wird noch lange leben.«
»Du wagst zu behaupten, du kennst den Willen Gottes?«
»Das tust du doch auch. Jeden Sonntag im Dom.«
» Ich bin Gottes Werkzeug. Mir kommt es zu. Dir hingegen nicht, Dichterling. Aber ich bin nicht gekommen, weil ich dir oder Lorenzo feindlich gesonnen wäre. Ich möchte Gottes Nachsicht walten lassen, indem ich Lorenzo in dieser dunklen Zeit Trost spende.«
Angelo überdachte den Vorschlag, während die Mönche in Savonarolas Begleitung murmelnd bekräftigten, sie seien nur gekommen, um Trost zu spenden und mit dem Medici-Patriarchen Frieden zu schließen.
»Ich bin sicher, er wird mich empfangen«, sagte Savonarola. »Warum gehst du nicht und fragst ihn?«
Angelo nickte. Sollte Lorenzo wach sein, war dies tatsächlich angezeigt. Denn der Verstand Il Magnificos war scharf wie eh und je, auch wenn sein Körper ihn im Stich ließ. Und wenn er sich kräftig genug fühlte, mochte er die Begegnung mit Savonarola sogar anregend finden.
Lorenzo war wach, als Angelo sein Gemach betrat. »Was gibt es?«, fragte er. »Ich spüre Unruhe im Haus.«
»Ein unerwarteter Besucher ist gekommen. Girolamo Savonarola.«
»Wirklich?« Mühsam setzte Lorenzo sich im Bett auf. »Nun, dann führe ihn herein. Ich möchte ihm gern zeigen, dass ich nicht im Sterben liege. Und bringe Wein, Angelo. Ich darf meine Gastfreundschaft nicht vergessen.«
»Ich muss mit Lorenzo allein sein«, beharrte Savonarola. »Was ich mit ihm zu besprechen habe, betrifft sein Seelenheil. Nur Gott soll Zeuge unseres Gesprächs sein.«
Angelo führte den schmächtigen Ordensbruder in Lorenzos Schlafgemach und schloss die Tür hinter ihm. Falls Lorenzo beunruhigtwar, mit dem Bußprediger allein zu bleiben, zeigte er es nicht.
Es würde keine Zeugen geben für das, was sich in jener Nacht in Lorenzos Gemach abspielte, genau wie Savonarola es gefordert hatte. Zumindest keinen sichtbaren Zeugen. Geschichtsstudenten würden diese Frage in den nächsten fünfhundert Jahren erörtern, ohne dabei auf irgendeine brauchbare Information zurückgreifen zu können.
Der dreizehnjährige Michelangelo, der für immer Lorenzos guter Engel sein sollte, hatte still in der angrenzenden Kammer gezeichnet, nur durch einen Vorhang von seinem Wohltäter getrennt. Niemand wusste, dass er sich dort verbarg.
Und so hörte Michelangelo alles, was geschah und was gesprochen wurde.
Girolamo Savonarola eilte aus der Medici-Villa in Careggi und gab seinen Mitbrüdern Zeichen, ihm zu folgen. Über die Schulter herrschte er Angelo an: »Du solltest lieber gleich nach dem Arzt schicken. Und nach jedem, der von Lorenzo Abschied nehmen möchte. Ich habe dir ja gesagt, dass er stirbt. Wie dumm, mir nicht zu glauben!«
Was niemand sah, als der Mönch aus der Tür zu den wartenden Pferden eilte, war der Weinkelch, den er unter seiner Kutte verbarg – Lorenzos eigener Kelch, der mit seinem Symbol der zwei ineinander verschlungenen Eheringe blasoniert war.
Lorenzo litt unter Krämpfen. Er stöhnte vor Schmerz, zitterte unkontrolliert und konnte nicht sprechen.
Michelangelo rannte los. Der Arzt weilte ebenfalls in der Villa; er hatte Gemächer auf dem gleichen Flur wie Lorenzo. Der Dreizehnjährige hatte zitternd gewartet, bis der schreckliche Mann das Zimmer verlassen hatte. Nun stürmte er den Gang hinunter, um den Arzt zu alarmieren. Der kam sogleich und stellte seinen Patientenruhig, um die Krämpfe zu lindern. Vor Erschöpfung schlief Lorenzo ein. Sein Atem ging schwer, aber regelmäßig. Doch die Prognose des Arztes war erschreckend: Lorenzo schien tatsächlich dem Tod nahe zu sein.
Angelo schickte einen Boten zu Colombina und Sandro in die Stadt. Die Nachricht lautete: »Wartet nicht bis Sonnenaufgang.« Er wollte nicht den gleichen Fehler begehen wie einst bei Simonetta, von der sich niemand hatte verabschieden können.
Leider reichte die Zeit nicht mehr, um auch dem Meister Bescheid zu geben. Er würde Lorenzo nicht mehr lebend antreffen.
Lorenzo erwachte vor Sonnenaufgang, schwach und erschöpft. Einzeln rief er seine Kinder zu sich herein, um mit ihnen zu sprechen und jedem einen guten Rat mit auf den Weg zu
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