Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
geben. Auch Michelangelo wurde gerufen, denn Lorenzo hatte ihn stets wie sein eigen Fleisch und Blut behandelt.
Michelangelo sprach später nie über diesen Tag. Er sagte lediglich, Lorenzo de’ Medici sei ihm wie ein Vater gewesen, und die Stimme Savonarolas werde ihn bis zu seinem Todestag verfolgen.
Die »Zwillinge« Giovanni und Giulio ließ Lorenzo gemeinsam zu sich kommen. Ihre Schicksale waren miteinander verflochten; deshalb schien es angebracht, dass sie sich Lorenzos letzte Ratschläge gemeinsam anhörten. Beide Knaben schworen ihrem Vater, seine Wünsche im Namen des Ordens zu erfüllen. Nicht umsonst waren sie Medici.
Die Gelübde, die in jenem Schlafgemach abgelegt wurden, sollten eines Tages den Lauf der Alten Welt ändern.
Nachdem die Knaben Abschied von ihrem Vater genommen hatten und mit Tränen in den Augen das Zimmer verließen, traten Angelo, Sandro und Colombina gemeinsam ein.
»Ihr seid die einzigen Menschen auf der Welt, denen ich vertraue«,verkündete Lorenzo. »Die Einzigen, die alles wissen. Ich muss euch hier und jetzt ein Gelübde abnehmen: Sorgt dafür, dass unser Werk fortgeführt wird. Ich weiß nicht, ob dieser wahnsinnige Mönch mich vergiftet hat. Ich kann es nicht beweisen. Aber wir haben aus den Gläsern dort getrunken. Deshalb lasst überprüfen, ob …« Lorenzo deutete auf den Tisch. Als er sah, dass nur noch ein Kelchglas dort stand, verstummte er und sank zurück in die Kissen.
Sandro schmetterte die Hand auf die Tischplatte, und Angelo wurde kreidebleich. Er würde sich ewig die Schuld geben an dem, was hier vorgefallenen war.
»Ich werde ihn bekämpfen, Lorenzo, bis in den Tod!«, zischte Sandro.
Lorenzo nickte. »Aber sei wachsam und klug, Bruder.« Er lächelte schwach. »Sei der Medici, zu dem ich dich gemacht habe.«
Colombina hatte kein Interesse, über Savonarola zu sprechen oder Rachepläne zu schmieden. Sie wusste nur, dass Lorenzo im Sterben lag, und so wollte sie die letzten Minuten in Frieden mit ihm verbringen. Doch bevor Sandro und Angelo die beiden allein ließen, reichten sie alle einander die Hände und sprachen gemeinsam das Ordensgebet.
»Wir preisen Gott und beten für eine Zeit,
in der alle Menschen unsere Lehren
in Frieden willkommen heißen
und in der es keine Märtyrer mehr gibt.«
»Versprecht mir, geliebte Freunde, dass wir wieder zusammen sein werden, wenn es Gott gefällt und die Zeit wiederkehrt. Begegnet mir hier, auf der Erde, damit wir beenden können, was wir angefangen haben. Es ist ein Versprechen, das wir im Himmel gaben und in der Zukunft auf Erden halten müssen. Wie im Himmel, so auf Erden. Versprecht es mir.«
»Wir versprechen es«, sagten alle.
Sandro und Angelo küssten Lorenzo auf beide Wangen. Tränen strömten, als sie Abschied nahmen.
»Du bist immer noch die schönste Frau, die je gelebt hat, Colombina«, flüsterte Lorenzo seiner Liebsten zu. »Ich habe dich geliebt, vom ersten Tag an. Nun, da ich sterben muss, liebe ich dich mehr denn je. Und Gott ist mein Zeuge, dass meine Liebe zu dir bis in alle Ewigkeit bestehen bleibt. Dès le début du temps, jusqu’à la fin du temps.«
Colombina ergriff Lorenzos Hände, die einst so stark gewesen waren, jetzt aber kaum noch Kraft besaßen. Sie beugte sich zu ihm hinunter und legte ihre Wange an die seine, sodass ihr Atem gemeinsam strömte. Flüsternd sprach sie die Übersetzung: »Vom Anbeginn der Zeit bis zu ihrem Ende.«
Dann hob sie seine Hand an ihre Lippen, küsste seine Finger und sagte unter Tränen: »Lorenzo, bitte, verlass mich nicht. Haben wir uns so sehr in Gott getäuscht? Wie kann er ein Gott der Liebe sein, wenn er uns so lange voneinander fernhielt und dich nun ganz von mir nimmt?«
»Nein, nein, Colombina.« Lorenzo nahm seine verbliebene Kraft zusammen und strich ihr übers Haar. »Jetzt ist nicht die Zeit, den Glauben zu verlieren. Denn er ist alles, was wir haben, und wir müssen an ihm festhalten. Ich gebe nicht vor, die Prüfungen zu verstehen, die Gott uns auferlegt hat, aber ich glaube fest daran, dass es einen Grund dafür gab. Vielleicht wollte er unsere Liebe auf die Probe stellen.«
Colombina streichelte sein bleiches Gesicht und ließ den Tränen freien Lauf. »Dann werden wir diese Prüfung wohl bestanden haben, Lorenzo.«
»Unsere letzte Prüfung auf Erden, meine Taube.«
Colombina schluchzte. »Sag so etwas nicht, Lorenzo. Dich zu verlieren ist für uns alle eine Qual.«
»Aber es hat einen höheren Sinn.« Es schien,
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