Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
in der Gesellschaft geworden, ein spiritueller Kern ihrer mächtigen Städte. In einigen größeren Städten, vor allem in Florenz, zeichneten sich die Bruderschaften sowohl durch ihre politische Macht als auch durch ihre Armenhilfe aus. Zu welcher Bruderschaft eine Familie gehörte, sagte viel über ihre Interessen und Verbundenheiten aus. Die erste in Florenz gegründete Bruderschaft war dem Erzengel Raphael geweiht und verrichtete viele gute Werke in der Krankenpflege. Andere Bruderschaften wurden zum Andenken und zu Ehren eines bestimmten Heiligen gegründet. Und die fanatischsten unter ihnen ermahnten zur Buße und forderten die Kasteiung des Fleisches.
Die Medici hatten die Bruderschaft der Magi mitbegründet, um eine Möglichkeit zu finden, ihr Geheimwissen öffentlich zu zelebrieren, ohne die katholischen Florentiner vor den Kopf zu stoßen. Auch wenn sie ihren Glauben im Geheimen pflegen mussten, waren die Medici seit den Tagen Karls des Großen Meister des öffentlichen Auftritts. Cosimo selbst gehörte nicht weniger als zehn Bruderschaften an und hatte sich kürzlich im Dominikanerkloster San Marco eine Zelle einrichten lassen. Dorthin zog er sich von Zeit zu Zeit zur Einkehr und zum Gebet mit den Brüdern zurück. Dass er ein Vermögen dafür ausgab, den Klosterbau zu erweitern und den genialen Mönch Fra Angelico zu beauftragen, die Kirche mit Fresken zu schmücken, entging den dankbaren Florentiner Katholiken keineswegs. Für öffentliche Zwecke war Cosimo de’ Medici der frommste Katholik, und er war stets bereit, seine Ergebenheit durch reiche Zuwendungen zu demonstrieren.
Das Dreikönigsfest war kein Tag der Trauer oder Buße, sondern ein Tag, um voller Vorfreude das Herannahen des Dichterfürsten zu feiern. Cosimo hatte zu diesem Anlass großzügig an Gilden und Zünfte gespendet, auch im Namen seines Enkels. Somit war Lorenzo im Alter von zehn Jahren einer der generösesten Stifter von Florenz. Diese Großzügigkeit entging vor allem dem Volk nicht, bei dem er zusehends an Beliebtheit gewann.
Lucrezia de’ Medici rückte Lorenzos edelsteinbesetzte Krone ein letztes Mal gerade und küsste ihn auf die Stirn, bevor sie ihn seinem Vater zuschob; dieser würde ihn zu dem weißen Hengst mit der kostbaren Schabracke bringen, dem Reittier des jungen Königs Kaspar. Lucrezia seufzte, als sie Lorenzo hinterherschaute. Sein Knabenkörper trug schwer an dem Damast. Auch wenn er das Kind der Prophezeiung war, blieb er immer noch ihr kleiner Junge.
»Lorenzo!«, rief sie ihm hinterher. »Vergiss den Spaß nicht!«
Selbst Florenz, das für seine üppigen, mitunter dekadenten Feste bekannt war, hatte noch kein Dreikönigsfest wie das des Jahres 1459 erlebt. Allein der Zug der Weisen aus dem Morgenland war überwältigend. Cosimo ritt als der alte König Melchior auf einem weißen Maultier voran. Ihm folgte ein Zug von Karren, beladen mit edelsteinbesetzten Truhen und kostbaren Seiden, sowie ein Kamel, das auf einem Schiff von Konstantinopel in die Stadt gebracht worden war. Ein Gefolge von Medici-Anhängern, geheime Mitglieder des Ordens, folgten als Cosimos Dienerschaft, angeführt von Cosimos treuestem Freund, dem Humanisten und Schriftsteller Poggio Bracciolini. Dessen Sohn, Jacopo Bracciolini, war im selben Alter wie Lorenzo und aus diesem Grund ausgewählt worden, in der Parade neben dem Medici-Jüngling durch die Stadt zu ziehen. Die beiden Knaben waren Freunde und hatten bei denselben Lehrmeistern Unterricht genossen. Jacopowar ein hübsches Kind, goldhaarig und weißhäutig, mit zarten Gesichtszügen und einem schlanken, beweglichen Körper – ganz anders als der dunkle, stämmige Lorenzo.
Jacopo war bockig geworden, weil er in der Prozession als Lorenzos Diener auftreten sollte. Um ihn zu beschwichtigen, hatte man ihm die Rolle des Löwenbändigers zugeteilt. Als solcher durfte er einen afrikanischen Serval führen: eine äußerst übellaunige Raubkatze, die wie ein geschrumpfter Leopard aussah.
»Sieh nur, Lorenzo, was ich mit dem Kätzchen machen kann!«, rief Jacopo mit schriller Stimme zu dem jungen Medici hinauf, der auf seinem großen weißen Hengst thronte. Jacopo zerrte heftig an der samtenen Leine, die am edelsteinbesetzten Halsband des Servals befestigt war. Die Raubkatze knurrte böse, erhob sich jedoch und lief ein paar Schritte auf den Hinterbeinen, sodass sie wie ein Zweibeiner wirkte. Jacopo lachte ausgelassen.
Lorenzo lachte ebenfalls, aber nur seinem Freund zuliebe, denn
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