Das Magdalena-Vermächtnis: Roman
gemahnte er an einen jungen Löwen. Ein wenig linkisch stand er auf und lächeltedie Besucher gewinnend an. Er näherte sich, verneigte sich anmutig und blickte dann zerknirscht auf seine Hände. »Zinnober. Es färbt so stark, dass ich mich nicht traue, irgendetwas anzufassen oder jemandem die Hand zu geben.«
Verrocchio stellte sie einander vor. »Cosimo und Lorenzo de’ Medici, dies ist Alessandro di Mariano Filipepi, den wir Sandro nennen. Ihr werdet bald mehr von ihm hören, denn noch nie habe ich bei einem Lehrling so viel Naturtalent erlebt.«
Sandro, der sein Talent recht gut kannte, aber dennoch bescheiden erscheinen wollte, schnitt Lorenzo eine Grimasse und zuckte die Achseln. Für einen so jungen Menschen war es eine zurückhaltende und dennoch selbstsichere Geste. Lorenzo musste lachen. Sofort hatte er Zuneigung zu dem jungen Mann gefasst, und nun sprach er mit ihm darüber, wie das stark färbende Zinnoberpigment hergestellt werde. An solchen Dingen war Lorenzo seit seiner Kindheit interessiert, weil er ehrfürchtig den bedeutenden Malern zugesehen hatte, die im Hause Medici ein und aus gingen und unter Cosimos und Pieros Schutz standen. Immer schon hatten ihn das Mahlen der Pigmente und das ausgeklügelte Vermischen fasziniert. Zu gern hätte er es selbst einmal versucht. Cosimo schaute Sandro beeindruckt hinterher, als dieser wieder an seine Arbeit ging.
»Er ist außergewöhnlich«, sagte Verrocchio mit gesenkter Stimme. »So etwas habe ich noch nie gesehen. Er besitzt nicht nur Talent, sondern auch tiefes Verständnis für einen so jungen Menschen. Es ist ihm offenbar angeboren.«
»Könnte er ein Himmlischer sein?«
Verrocchio nickte. »Er könnte der Himmlische sein, auf den wir gewartet haben. Seine Fähigkeiten sind übernatürlich. Ich kann ihm die Grundlagen beibringen, aber wenn er der ist, für den ich ihn halte, braucht er bessere Lektionen. Ich glaube, er ist würdig, ein Schüler des Meisters zu werden.«
Cosimo beobachtete die beiden jungen Künstler, die mit den Pigmenten beschäftigt waren. Lorenzo zerrieb sie im Mörser,während Sandro seine Technik begutachtete. Sie waren von einer Aura umgeben, die den beiden älteren Männern nicht entging. Diesen jungen Männern war es vorherbestimmt, Freunde zu werden. Tatsächlich schienen sie bereits auf dem besten Wege zu einer engen Freundschaft zu sein.
»Wenn er ist, was du sagst«, raunte Cosimo, »werde ich ihn im Palazzo aufnehmen und wie einen Medici aufwachsen lassen, und dann …«
Das ebenso laute wie dramatische Erscheinen Donatellos unterbrach ihn.
»Oh, mein Herr, mein Retter! Sagt, dass es Euch gelungen ist, einen armen, unbedeutenden Künstler vor der Verdammnis durch die Florentiner Philister bewahrt zu haben!«
»Arm? Dank mir bist du nicht arm«, entgegnete Cosimo. »Und dank deines Talents bist du alles andere als unbedeutend. Und was die Anklage gegen dich angeht – die wurde fallen gelassen.«
Donatello schloss Cosimo in die Arme. »Ich danke Euch! Niemand ist ein besserer und freundlicherer Mäzen als mein großzügiger Ser Medici!«
»Nichts zu danken. Aber in Zukunft solltest du keine Aufträge mehr übernehmen, die nur der Eitelkeit des Auftraggebers schmeicheln. Du wirst sowieso erst einmal für mich arbeiten. Ich möchte, dass du eine Skulptur Unserer Lieben Frau schaffst, der Königin der Barmherzigkeit.«
»Eine Skulptur der Maria Magdalena?«
»Ja. In Lebensgröße. Sie soll unser Geschenk für den Meister sein.«
Donatello nickte. »Und wie lauten Eure Vorgaben?«
»Es gibt keine Vorgaben. Du sollst nur dein Herz befragen und die Liebe Unserer Herrin in dein Werk einfließen lassen. Die Wahl des Materials und alle künstlerischen Entscheidungen überlasse ich dir. Sorge du nur dafür, dass sie eindrucksvoll wird, ein wahrhaftiges Symbol für den Orden. Ich werde dich imVoraus bezahlen, damit du nicht in Versuchung gerätst, andere Aufträge anzunehmen, die dich ablenken und uns die nächste Katastrophe ins Haus schicken könnten. Sind wir uns einig?«
Wieder schlang der Künstler die Arme um Cosimo. »Ja, bester Herr! Ich werde unserer Madonna eine Schönheit verleihen wie noch kein Künstler vor mir. Überlasst nur alles mir!«
Donatello brauchte für die Skulptur fast ein Jahr. Er fertigte sie aus Holz, einem schwierigen Material für eine lebensgroße Figur. Deshalb nahm er Holz von der Silberpappel, weil es geschmeidig war. Doch es dauerte mehrere Monate, bis er einen Stamm gefunden hatte,
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